Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
guten Picknickwein ab. Die edelfaulen Essenzen von Bonnezeaux und Quarts de Chaume gehören zu den feinsten Dessertweinen Frankreichs und lassen sich auch allein, ohne Speisen, genießen.
Anjou-Saumur
Keine französische Anbauregion ist so sehr auf einen einzigen Wein spezialisiert wie Muscadet. Anjou, der Nachbar im Osten, hat dagegen eines der breitgefächertsten Sortimente aller Weinlandschaften in Frankreich zu bieten. Den größten Umsatz machte der Bereich mit Rosés, bevor Spätfröste für Einbußen sorgten. Bei der Schaumweinindustrie steht Saumur gleich an zweiter Stelle hinter der Champagne. Die besten Roten sind durchaus vorzeigbar, während die trockenen und süßen Weißen aus Chenin blanc sogar zu den großen Aperitif- und Dessertweinen Frankreichs zählen. Der Rosé d’Anjou ist ein süßlicher, hellrosa Tropfen, an den niemand große Ansprüche stellt, ein Verschnitt aus Grolleau mit Cabernet, Cot, Gamay und der lokalen Pineau d’Aunis. Zwar hat er seine ehemalige Stellung auf dem Exportmarkt nicht mehr erlangt, doch in französischen Supermärkten scheint er sich nach wie vor gut zu verkaufen. Konkurrenz hat er mit dem ebenfalls rosafarbenen – also nicht roten, wie man meinen könnte – Cabernet d’Anjou bekommen, der überwiegend für Käufer im Inland produziert wird und mehr Respekt verdient.
Von der europaweiten Rosé-Renaissance seit 2003 haben die Weine von Anjou allerdings nicht sonderlich profitiert. Die beste Rotweintraube an der Loire ist Cabernet franc, hier oft Breton genannt; ihr trockener Rosé hat eine sortentypische Himbeernote zu bieten. Die besten Vertreter stammen aus Martigné-Briand, Tigné und La-Fosse-Tigné im Haut-Layon, einem Teil der Coteaux du Layon, der auch der wichtigste Anbaubereich für Chenin blanc ist und Weißweine mit einer gewissen Neigung zur Süße erbringt.
Alle wichtigen Anjou-Lagen erstrecken sich südlich der Loire und an ihren Nebenflüssen Layon, Aubance und Thouet – mit einer Ausnahme: Savennières, die Hauslage von Angers. Hier wird die Chenin blanc auf ganz eigene Art interpretiert, nämlich als kraftvoller, sehr trockener Wein. Savennières umfasst zwei kleine Grands Crus: La Roche aux Moines und La Coulée de Serrant. Ihre Erzeugnisse – und alle anderen von Spitzenwinzern in Savennières – wirken mit ihrer hohen Säure und der fast beißenden Geschmackskonzentration zunächst ungelenk, kantig und unnachgiebig. Sie brauchen bis zu 15 Jahre, um ihr honigduftiges Potenzial zu entfalten. Trinkt man sie jünger, muss man ihnen ein Gericht zur Seite stellen. Mittlerweile scheinen viele Erzeuger – vielleicht aus Marktzwängen heraus – einen zugänglicheren Stil zu bevorzugen, doch riskieren sie damit einen Verlust der Typizität.
Savennières liegt gegenüber von Rochefort-sur-Loire am breiten, von Inseln durchsetzten Strom. Rochefort bildet das Tor ins lange Layon-Tal, wo trockene, saure und bissige Chenin blanc reifen, aber alle feinen Erzeugnisse zumindest eine frische Apfelsüße offenbaren und in ihren allerbesten Ausprägungen tiefe, cremige Süße mit der Saftigkeit eines Sauternes verbinden. Die Coteaux du Layon umfassen zwei Grands Crus von Format: Quarts de Chaume und Bonnezeaux, wo sich die Edelfäule (im Gegensatz zu Sauternes) relativ regelmäßig einstellt und die Weine dank ihrer schieren Konzentration einen Alkoholgehalt von 13 bis 14 Grad erreichen.
Einige große Layon-Interpretationen entstehen, indem die Trauben passerillés , also am Rebstock leicht getrocknet und geschrumpft, geerntet werden. Man kehrt allmählich zur Lese in mehreren Durchgängen (tris) zurück. Wenn Weine von Layon und Aubance gewisse Voraussetzungen erfüllen, dürfen sie als Sélection de Grains Nobles etikettiert werden. Einige dieser süßen Essenzen werden sogar in Fässern ausgebaut. Sie sind sozusagen der Vintage Port unter den Weißen und werden wie sie jung abgefüllt, damit ihre Entwicklung unter geringstmöglichem Sauerstoffeinfluss abläuft. So bildet sich ein Bouquet, das sauber, blumig und so frisch-fruchtig wie die Traube selbst ist, aber auch den Vollklang und die honigfeine Wärme des Alters erkennen lässt. Diese Weine ähneln so sehr einem großen alten Vouvray, dass nur ein vermessener Weinrecke – oder ein Einheimischer – von sich behaupten würde, sie unterscheiden zu können. Sie vollführen wie deutscher Wein aus guten Jahren einen Balanceakt zwischen Süße und stützender Säure. Allerdings halten nur wenige
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