Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
ohne ihren sauberen, frischen Nachgeschmack einzubüßen. Die reichsten Versionen aus den besten Jahrgängen halten locker ein Jahrhundert oder mehr aus. Größere Bedeutung als dem Süßegrad kommt am Ende aber der Qualität der einzelnen Lagen zu. Eine Handvoll großartiger Weinberge wird seit Jahrhunderten gerühmt; neuerdings erscheinen sogar Einzellagenabfüllungen aus ihnen. Zwei Lagen in der Gemeinde Tarcal rangieren von jeher an der Spitze: Szarvas in staatlichem Besitz und Mezés Mály.
Ansonsten aber ist der Tokaji Aszú ebenso wenig das einzige Produkt eines Anbaugebiets wie die Auslese in Deutschland. Das Alltagsgetränk von Tokaji ist ein trockener Tafelwein vorwiegend von Furmint, der bewundernswert lebendig und feurig ausfallen kann. Der weniger luxuriöse Aperitif oder Dessertwein heißt Tokaji Szamorodni, wörtlich »wie gewachsen«, was bedeutet, dass der gesamte Jahrgang samt und sonders gelesen wird, ohne dass man Aszú-Trauben selektiert. Trockener Szamorodni ähnelt mit seinem charakteristischen »Biss« einem Sherry. Einige wenige Erzeuger bereiten einen weiteren Stil namens Forditas. Dazu wird der Trester nach dem Keltern der Aszú-Mischung erneut gepresst, anschließend kommt trockener Wein für eine weitere Gärung hinzu. Das recht unbefriedigende Ergebnis ist ein Tropfen irgendwo in der Mitte zwischen Szamorodni und Aszú.
Für alle, denen selbst das Beste noch nicht gut genug ist, gibt es einen Wein, der noch voller ist als der 6-buttige Tokaji Aszú: den Tokaji Aszú Esszencia, auch Essencia oder Eszencia geschrieben. Seine süße Intensität ist überwältigend, viele Jahre der Reife sind nötig, um sie zu zähmen. Der Zuckergehalt dieser legendären »Essenz« ist mit bis zu 800 Gramm pro Liter so hoch, dass die Hefen ihr nichts mehr anhaben können. Die sich im Schneckentempo ewig hinziehende Gärung wurde früher diskret durch Zugabe von etwas Branntwein gestoppt. Die Esszencia ist der frei ablaufende Saft aufgehäufter Aszú-Trauben, der ohne Pressen allein durch das Eigengewicht der Masse austritt und höchstens ein paar Eierbecher füllt. Da angeblich aber ein Eierbecher dieses Elixiers ausreichte, um einem sterbenden Kaiser neue Lebenskraft zu geben, ist der Esszencia seit Jahrhunderten der kostbarste Wein überhaupt – und praktisch nicht zu bekommen.
Die Renaissance des Anbaugebiets Tokaj ist in vollem Gang. Ein gutes Dutzend Unternehmen, darunter einige große ausländische Investoren, sind daran beteiligt. Es wird noch immer über den »wahren« Stil des Tokajers debattiert. Unter dem kommunistischen Regime wurden die Weine häufig pasteurisiert und manchmal leicht gespritet, was zusammen mit den unvermeidlichen Einstellungen in einer Planwirtschaft dazu führte, dass die Weine vorzeitig oxidierten. Moderne Methoden, etwa das regelmäßige Auffüllen der Fässer, das Ersetzen der gönci durch größere, barriqueartige Fässer mit bis zu 500Liter Inhalt, das Vergären mit Most statt mit Grundwein und früheres Abfüllen zeitigen frischere Weine, die weniger vom ausgeprägten Kellercharakter des Tokajers haben. Die Diskussionen und die Veränderungen haben dem Gebiet, das auch weiterhin Raum für verschiedene Interpretationen von Tradition lässt, gut getan. Große Aszú-Weine müssen wie ein großer Sauternes 20 Jahre und länger lagern. Ein endgültiges Urteil über die »neuen« Tokajer wird noch mindestens zehn Jahre auf sich warten lassen.
Investoren und Kellermeister aber haben mittlerweile begriffen, dass man mit der ausschließlichen Bereitung von Aszú wirtschaftlich nicht überleben kann, da es immer wieder Jahrgänge gibt, die so schlecht sind, dass man sie im Grunde nicht abfüllen kann. Daher wurde die Produktion von trockenem Furmint wieder aufgegriffen, um wenigstens die gesunden Trauben, die sich nicht für die Aszú-Produktion eignen, zu verwerten. Außerdem entstehen nun sogar neue, umstrittene Spätlesen. Einen rechtlichen Rahmen dafür gibt es nicht, doch handelt es sich in der Regel um süße Abfüllungen aus überreifen, nicht edelfaulen Trauben. Sie unterscheiden sich außerdem von Aszú, weil sie größtenteils nicht in Eichenfässern reifen. Einige Kritiker und Erzeuger halten sie schlicht für einen Irrweg, andere dagegen für eine notwendige Erweiterung der Produktpalette, die vor allem bei den Käufern gut ankommt.
Tokaj: führende Erzeuger
János Arvay *–***
Tokaj. Besitzer: János Arvay und Christian Sauska. 81 ha. www.arvaybor.hu
Der
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