Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
Die Winzergeneration, die nach dem Ende der Prohibition auf den Plan trat, leistete jedoch unschätzbare Pionierdienste in einer Branche, die zunächst fast keine Freunde zu haben schien. Kaum jemand war deshalb vorbereitet, als die Amerikaner Ende der 1960er-Jahre ihre Einstellungen änderten, sich für neue Ideen zu interessieren begannen, sich Gedanken über ihre Umwelt, ihre Essensgewohnheiten und ihre Gesundheit machten und überhaupt erst entdeckten, dass in ihrem eigenen Hinterhof der Quell eines der genussreichsten Getränke sprudelte.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. 1970 gab es noch 240 bonded wineries , lizenzierte Weinproduktionsstätten. Im Jahr 2000 zählte man bereits 1450 Kellereien – und 2007 kelterten schon 2687 Güter Wein. Hinzu kommen weitere 3200 Betriebe in anderen Bundesstaaten. Betrug die Gesamtrebfläche 1990 noch 136000 Hektar, lag sie 2006 schon bei 193000 Hektar. Hinter dieser Fassade aus Zahlen aber war alles in Gärung: Trauben, Menschen, Moden, Anbaugebiete und Philosophien änderten sich ständig. Und das ist bis heute so.
Erwartungsgemäß versuchten sich Akteure aus anderen Bereichen des Getränkemarkts – Brauereien, Brennereien und Softdrinkhersteller – mit variablem Erfolg einen Anteil an der Massenproduktion zu sichern. Die anhaltende Dominanz von Gallo liegt vielleicht in der Tatsache begründet, dass das Unternehmen nach wie vor eigenhändig von den Familien der beiden Gründerbrüder geleitet wird.
Am anderen Ende des Spektrums standen die voreilig und etwas abfällig als Boutiqueweingüter bezeichneten Betriebe. Hier schwappten die Modewellen von einem Wein zum anderen, denn die Abnehmer waren noch größere Neulinge in der Weinwelt als die Kellermeister und oszillierten auf der Suche nach »ihrem« Stil hin und her. Gleichzeitig machten sie sich auf eine Entdeckungsreise durch die Kellereiszene und versuchten herauszufinden, wer ihre Lieblingstropfen bereitete – und ob es sie auch noch im nächsten Jahr gab. Der Kult um Kellermeister ist nirgendwo ausgeprägter als in Kalifornien. Eine Handvoll von ihnen, darunter viele Frauen, hat ein solches Renommee erlangt, dass jeder Betrieb, der Weine von ihnen bereiten lässt, große Summen für seine Abfüllungen verlangen kann. Ich will keineswegs das Geschick dieser winemakers in Zweifel ziehen, sondern nur feststellen, dass ihr Prestige mehr zum wirtschaftlichen Erfolg eines Weinguts beiträgt als so schwer fassbare Faktoren wie Weinberg und Terroir.
In Kaliforniens Weinlandschaft findet man mehr Treibsand als festes Terrain. Die Bereitungsindustrie hat keinerlei Struktur und nur sehr wenig Regeln. Wer finden will, was er sucht, braucht vier Navigationsstrategien, die er alle gleichzeitig anwenden muss. Um die Dominanz von Marken oder Kellereinamen kommt man nicht herum. Über den Inhalt der Flasche gibt allein die Traubensorte verlässlich Aufschluss. Das Herkunftsgebiet ist manchmal ein nützlicher Hinweis auf den Weinstil, sagt aber oft wenig über die Qualität aus. Der Jahrgang enthüllt zumindest, wie alt das Erzeugnis ist – und gelegentlich auch noch mehr. Der Zugang zu den wichtigsten Informationen führt in diesem Kapitel über drei alphabetische Verzeichnisse: das der Kellereien und Marken, das der Trauben und Weintypen und das der Anbaugebiete.
Wie gut aber sind die Weine und wo stehen sie im internationalen Vergleich? In den letzten 20, 30 Jahren haben die besten handgefertigten kalifornischen Abfüllungen immer wieder gezeigt, dass sie bei Blindverkostungen ihre europäischen Vorbilder in den Schatten stellen können. Warum ihnen dies mit schon fast monotoner Regelmäßigkeit gelingt, liegt in ihrer Natur begründet: Es ist die vollreife Traube, die dafür sorgt, dass Weine aus Kalifornien einem Vergleich mit den großen Jahrgängen und besten Lagenweinen in Europa standhalten. Freilich spielen auch der schnelle Reifeprozess und das Terroir eine größere Rolle, als Kalifornien derzeit zuzugeben bereit ist. Der unvermeidliche Nachteil der superreifen Traube ist ihre gnadenlose Geschmacksintensität. Das Herzhafte liegt den Amerikanern, wenigstens im Augenblick. Es gefällt aber auch vielen Weinfreunden andernorts. Gelegentlich schlägt die Stimmung zwar um, aber immer nur für kurze Zeit. Vor gar nicht allzu langer Zeit brachten Beschreibungen wie »beeindruckende Frucht«, »Ehrfurcht gebietend«, »jede Menge Sortencharakter« oder »deutliche Anklänge an französische Eiche« höchstes Lob zum
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