Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
man den Streifen, der sich am linken Ufer der Garonne von Bordeaux aus 65 Kilometer flussaufwärts bis zum Städtchen Langon und vom Ufer bis ins Hinterland zu den Kiefernwäldern der Landes zog. Er war in etwa so groß wie das Médoc, aber stärker von Wäldern und Bauernhöfen durchsetzt. Außerdem enthielt er wenig ausgedehnte Rebflächen oder große Châteaux.
Das typische Merkmal von Graves ist der lockere, kiesige Boden – daher auch der Name Graves, wörtlich »Kies«. Er wurde während der Eiszeit von Pyrenäengletschern hier abgelagert. Auch Sand findet man häufig, ferner hellen und roten Ton. Wie im Médoc besteht kein Zweifel mehr daran, dass heute fast das gesamte gute Rebland bereits genutzt wird.
Insgesamt gehören zu Graves 5040 Hektar Weinberge – 1983 waren es noch 1494 gewesen. Allerdings ist Graves viel zu uneinheitlich, um sich über einen Kamm scheren zu lassen.
Man hat es in Subzonen unterteilt. Im Norden, wo sich alle Crus Classés befinden, richtete man nach Jahren intensiver Lobbyarbeit die AC Pessac-Léognan ein. Trotz des unhandlichen Namens erwiesen sich das Gebiet und seine Weine als Erfolg. Weniger zufrieden waren die Erzeuger südlich davon, deren Abfüllungen nur Anrecht auf die Bezeichnung AC Graves haben. Dann gibt es noch eine Enklave im Süden von Graves mit ganz anderer Landschaft, anderen Besitzverhältnissen und anderen Weinen: Sauternes.
Obwohl Graves zu einem Drittel von weißen Reben beherrscht wird, ist der Löwenanteil der Spitzenerzeugnisse rot.
Bei einem Vergleich zwischen roten Graves-Gewächsen und Médoc-Weinen bekommt man den Eindruck, ein Graves sei weniger fein, denn er wird gern mit »erdig«, »weich« oder »reift früher« beschrieben, was sich eher schlicht als erhebend anhört. Der verstorbene Maurice Healey brachte es auf den Punkt, als er meinte, das Médoc und Graves seien wie ein Hochglanz- und ein Seidenmattabzug ein und derselben Fotografie.
Das matte Bild kann genauso schön sein, wirkt aber nicht so frisch und scharf und hat nicht ganz so funkelnde Farben.
Weißer Graves in Bestform ist ein seltenes Erlebnis – und ein teures. Nur wenige Güter machen überhaupt den Versuch, die einzigartige Kombination aus Fülle und Energie anzustreben, die einem weißen Vertreter mit der Zeit zu eigen wird. Die edelsten Weißen können sich mit großen weißen Burgundern messen. Doch schon allein an der Frage, mit welchen Trauben solche Höhen zu erklimmen seien, scheiden sich die Geister.
Manche favorisieren Sémillon, andere Sauvignon blanc und wieder andere einen Mix aus beiden. In den letzten 15 Jahren wurden viele Weinberge mit Sauvignon gris bestockt, um dem Verschnitt mehr Würze zu verleihen.
Einige Winzer bereiten den Wein in Edelstahl und füllen ihn im zeitigen Frühjahr ab, andere – darunter die Besten – setzen auf Vergärung und Ausbau in Fässern aus neuer Eiche.
Zweitrangige Kellereien neigen oft dazu, ihre Trauben für trockene Weiße zu früh zu lesen, also noch bevor sie die volle Reife erlangt haben. Sauvignon blanc ist für seine ungleichmäßige Reifung bekannt. Spitzengüter indes konzentrieren sich inzwischen auf das Ernten vollreifen Leseguts und eine komplette Vergärung, um saubere, trockene Gewächse mit großer Geschmacksfülle zu bekommen.
Das nördliche Graves setzt sich, ausgehend vom südlichen Rand der Stadt Bordeaux, aus folgenden Gemeinden zusammen: Pessac und Talence (noch in den Vororten), Gradignan und Villenave-d’Ornon (in denen heute nur noch sehr wenig Wein entsteht), Léognan (die ausgedehnteste Gemeinde mit sechs klassifizierten Châteaux), Cadaujac, St Médard d’Eyrans, Canéjan, Mérignac und Martillac. Bis 1987 waren alle unter der Einheitsappellation Graves zusammengefasst. Dann wurde die neue AC Pessac-Léognan mit 55 Gütern in zehn Gemeinden und einer Gesamtrebfläche von 1500 Hektar eingerichtet. Südlich davon schließt sich Portets an, das immer mehr Bedeutung mit ähnlichen Weinen erlangt. Cérons an der Schwelle zu Barsac und Sauternes bereitet sowohl süße als auch trockene Weiße, wobei die trockenen Vertreter immer besser und populärer werden. Rot befindet sich auf Kosten von Weiß – ganz gleich, ob trocken oder süß – stetig auf dem Vormarsch.
Die Châteaux von Graves wurden 1953 und 1959 erstmals klassifiziert, allerdings auf eine undifferenzierte, wenig hilfreiche »Drin-oder-nicht-drin«-Art. Insgesamt zwölf Châteaux bekamen für ihre Rotweine Cru-Classé-Status verliehen
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