Der grosse Johnson_ Die Enzyklopadie der Weine, Weinbaugebiete
nasses Glas lässt sich mit einem sauberen Leinen- oder Baumwolltuch im Nu auf Hochglanz bringen, während auf einem kalten Glas Streifen und Fusseln zurückbleiben.
Der beste Aufbewahrungsort ist ein geschlossener Schrank, in dem die Gläser aufrecht stehen. Auf einem offenen Regal stauben sie ein; stellt man sie mit der Öffnung nach unten, nehmen sie den Geruch des Holzes oder des Lacks an. Als Alternative zum geschlossenen Schrank ist ein Gestell denkbar, in das die Gläser mit dem Fuß eingehängt werden. Allerdings ist Staub auf dem Glas auch nicht besser als Staub im Glas.
Wein servieren
Wenn man um das Servieren von Wein kein Aufhebens macht, kostet es nicht viel Zeit und Mühe: Die Flasche ist entkorkt, ehe das Gespräch richtig begonnen hat. Natürlich gibt es Gelegenheiten und Gewächse, bei denen ein so prosaisches Vorgehen gerechtfertigt ist. Ich möchte an dieser Stelle jedoch eine Lanze dafür brechen, das Öffnen jeder Flasche zu zelebrieren. Weil Vorfreude die schönste Freude ist, sollte man sich die ausgiebige Lektüre des Etiketts gönnen, das Entfernen der Kapsel richtig auskosten und genüsslich den Korkenzieher ansetzen. Wein dient allein dem Zweck, die Sinne zu erfreuen. Und dieser Zweck ist erfüllt, wenn man jeden einzelnen Schritt von der Wahl des Weins bis zum ersten Schluck in vollen Zügen genießt. Die Kunst des Servierens besteht darin, einen Wein so zu kredenzen, dass seine Qualitäten bestmöglich zur Geltung kommen.
Nichts ist so ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg wie die Temperatur. Der typische Duft und Geschmack eines Weins setzt sich aus flüchtigen Stoffen zusammen, deren Molekulargewicht bei »leichten« Weißweinen gering ist und bei »schweren« Rotweinen immer weiter ansteigt. In welchem Maße diese Stoffe verdunsten und auf den Geruchssinn treffen, hängt von der Temperatur ab.
Jede Rebsorte verhält sich in dieser Hinsicht anders. Der Duft des Rieslings ist äußerst flüchtig; ein Moselwein sendet seine blumige Botschaft bereits aus, wenn er noch zu kalt zum Trinken ist. Der kräftige Geruch des Champagners nach Trauben und Hefe ist durch Kälte kaum zu zügeln (und doch kenne ich Leute, die es immer wieder versuchen). Sauvignon blanc verströmt seinen Geruch fast so großzügig wie Riesling, Chardonnay hingegen sehr viel weniger und auch weniger als Gamay: Beaujolais duftet bei niedrigen Temperaturen außerordentlich stark. Pinot noir verströmt sein ätherisches Aroma sogar in einem kalten burgundischen Keller, während Cabernet seinen Duft vor allem in jungen Jahren für sich behält. In einem chai in Bordeaux riecht es eher nach Eichenholz als nach Wein. Cabernet aus Kalifornien und anderen warmen Gegenden ist entgegenkommender.
Ist Aroma alles?
Das eben Gesagte stimmt in etwa mit den in der Tabelle auf > verzeichneten, allgemein anerkannten Serviertemperaturen überein. Das Aroma ist aber keineswegs alles. Von Weißweinen erwarten wir, dass sie erfrischend kühl sind und Rotweine sollen den Gaumen mit Kraft und Fülle reizen. Es ist interessant auszuprobieren, wie sehr das Geschmacksempfinden durch die Temperatur beeinflusst wird: Kostet man einen guten reifen Meursault und einen Volnay der gleichen Qualität (also einen Weiß- und einen Rotwein aus benachbarten Weinbergen, deren Trauben viel gemeinsam haben) bei gleich kühler Temperatur mit geschlossenen Augen, kann man kaum einen Unterschied feststellen.
Das Schlagwort »Zimmertemperatur« als Richtwert für das Servieren von Rotwein können Sie getrost über Bord werfen. Egal welche Temperatur in Esszimmern herrschte, als es geprägt wurde – die Chancen, dass eine Flasche die richtige Temperatur bekommt, wenn man sie in das Zimmer stellt, in dem sie getrunken werden soll, sind relativ gering. Ein amerikanisches Esszimmer mit 21 Grad Celsius ist zu warm für Wein; bei dieser Temperatur steigt der Alkohol unangenehm zu Kopf. Mein Esszimmer ist mit 15 Grad Celsius gut für Burgunder, aber zu kalt für Bordeaux.
Jeder hat in seinem Kühlschrank ein Plätzchen, um Weißwein zu kühlen, aber niemand in meiner Bekanntschaft hat einen Ofen, den man auf 16 Grad Celsius aufheizen kann. Doch wenn ein Eiskübel ein brauchbares (genau genommen sogar das beste) Mittel zum Kühlen von Weißwein ist, warum sollte es dann nicht auch ein Warmwasserkübel für Rotwein tun? Wasser mit 21 Grad lässt die Temperatur einer Flasche in etwa acht Minuten von 15 auf 18 Grad steigen; ebenso lange würde es dauern, die
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