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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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und einen Partner. Das Ermittlungsfeld wäre dann schon ganz schön eingeengt, besonders, da ich ja seine eigenen Schlüssel in meiner Tasche hatte, als es passierte. Ich hatte keine Gelegenheit, mir die Garage anzusehen. Die Türen waren zu und verriegelt, und als ich heranfuhr, bewegte sich etwas hinter der Hecke. Eine Frau in einem grün und weiß karierten Mantel und einem Knöspchen von einem Hut auf weichem, blondem Haar trat aus dem Labyrinth und stand da und sah mit wilden Augen nach meinem Wagen, als ob sie ihn nicht hätte bergauf kommen hören. Dann wandte sie sich schnell um und war wieder verschwunden. Es war selbstredend Carmen Sternwood.
    Ich fuhr die Straße hinauf und parkte und kam zurück. Bei Tageslicht schien das eine gewagte und gefährliche Sache. Ich trat durch die Hecke. Carmen stand aufrecht und schweigend vor der verschlossenen Haustür. Eine Hand hob sich langsam zu ihren Zähnen, und ihre Zähne bissen auf ihren ulkigen Daumen. Ihre Augen waren violett verschmiert, und ihr Gesicht war weißgewaschen von Erschöpfung.
    Sie lächelte mich schwach an. Sie sagte mit dünner, brüchiger Stimme: »Hallo ... Was ... was ...?« Das verlor sich, und sie machte sich wieder an ihren Daumen.
    »Kennen Sie mich noch?« sagte ich. »Dobermann Reilly, der Mann, der zu groß geraten ist. Erinnern Sie sich?«
    Sie nickte, und ein schnell zuckendes Lächeln spielte über ihr Gesicht.
    »Lassen Sie uns hineingehen«, sagte ich. »Ich habe einen Schlüssel. Toll, wie?«
    »Wa... wa...?«
    Ich schob sie beiseite und steckte den Schlüssel in die Tür und öffnete und schob sie durch. Ich schloß die Tür und stand da und schnupperte. Der Raum war grauenvoll bei Tageslicht.
    Der chinesische Krempel an den Wänden, der Teppich, der Lampen-Firlefanz, das Teakholzzeugs, die schwüle Orgiastik der Farben, der Totempfahl, der Bocksbeutel mit Äther und Laudanum – all das wirkte bei Tag so eklig schal wie Kehricht nach einer wilden Party.
    Wir standen da, das Mädchen und ich, und sahen uns an. Sie hätte gern ein schlaues, kleines Lächeln auf ihrem Gesicht festgehalten, aber das Gesicht war zu müde und wollte seine Ruhe haben. Ich nahm sie unbeirrt aufs Korn. Das Lächeln ebbte zurück wie Wasser vom Sand, und ihre bleiche Haut bekam eine grobkörnige Textur unter der stumpf-stupiden Leere ihrer Augen. Eine weißliche Zunge leckte an ihren Mundwinkeln. Ein hübsches, verdorbenes und nicht sehr helles Mädchen, das sich weit, weit verlaufen hatte, und keiner tat etwas dagegen. Zum Teufel mit den Reichen. Sie waren zum Kotzen. Ich rollte eine Zigarette zwischen den Fingern und schubste ein paar Bücher beiseite und setzte mich auf die Ecke des schwarzen Schreibtischs. Ich steckte meine Zigarette an, paffte eine Rauchfahne und sah eine Weile schweigend der Daumenlutsch-Nummer zu. Carmen stand vor mir wie ein unartiges Mädchen vorm Direktor.
    »Was tun Sie hier?« fragte ich sie schließlich. Sie zupfte am Stoff ihres Mantels und antwortete nicht. »Wieviel wissen Sie noch von heute nacht?«
    Diesmal antwortete sie – mit einem hinterlistigen Glitzern in ihren Augen. »Was soll ich wissen? Ich war krank heute nacht.
    Ich war zu Hause.« Ihre Stimme war ein vorsichtiges, heiseres Flüstern, das eben noch mein Ohr erreichte.
    »Den Teufel waren Sie.«
    Ihre Augen flackerten sehr schnell auf und nieder. »Bevor Sie zu Hause waren«, sagte ich. »Bevor ich Sie nach Hause brachte. Hier. In diesem Sessel!« – ich zeigte darauf -, »auf diesem orangefarbenen Schal. Sie erinnern sich sehr gut.« Eine langsame Rötung kroch ihre Kehle hinauf. Das war schon etwas. Sie konnte noch rot werden. Ein weißer Schimmer zeigte sich unter der dichten grauen Iris. Sie kaute toll an ihrem Daumen.
    »Sie ... waren das?« wisperte sie.
    »Ich. Was haben Sie alles behalten?«
    Sie sagte fahrig: »Sind Sie von der Polizei?«
    »Nein. Ich bin ein Freund Ihres Vaters.«
    »Sie sind nicht von der Polizei?«
    »Nein.«
    Sie stieß einen dünnen Seufzer aus. »Wa... was wollen Sie?«
    »Wer hat ihn umgebracht?«
    Ihre Schultern zuckten, aber in ihrem Gesicht regte sich nichts.
    »Wer sonst ... weiß es noch?«
    »Das mit Geiger? Keine Ahnung. Die Polizei jedenfalls nicht, sonst wäre das hier schon ein Campingplatz. Vielleicht Joe Brody.«
    Es war ein Schlag ins Dunkle, aber er kam an. »Joe Brody!
    Der!«
    Dann schwiegen wir beide. Ich zog an meiner Zigarette, sie aß ihren Daumen.
    »Machen Sie jetzt bloß nicht auf schlau«, drängte

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