Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
ich. »Hier zieht nur die gute, alte, einfache Tour. Also: Hat Brody ihn umgelegt?«
    »Wen umgelegt?«
    »Heiliger Strohsack«, sagte ich.
    Sie guckte beleidigt. Ihr Kinn klappte ein Häppchen herunter. »Ja«, sprach sie feierlich. »Joe hatś getan.«
    »Warum?«
    »Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf, um sich auch wirklich zu überzeugen, daß sie es nicht wußte.
    »Ihn viel gesehen in letzter Zeit?«
    Ihre Hände fielen herab und bildeten kleine weiße Knoten.
    »Nur ein- oder zweimal. Ich hasse ihn.«
    »Dann wissen Sie, wo er wohnt?«
    »Ja.«
    »Und Sie mögen ihn nicht mehr?«
    »Ich hasse ihn.«
    »Also hätten Sie ihn gern in Teufels Küche.«
    Wieder kleine Sendepause. Es ging ihr alles zu schnell. Aber ich konnte nicht langsamer.
    »Würden Sie der Polizei sagen, daß es Joe Brody war?«
    forschte ich.
    Plötzlich flammte Panik über ihr ganzes Gesicht.
    »Natürlich nur, wenn ich die Geschichte mit dem Nacktfoto aus der Welt geschafft habe«, fügte ich besänftigend hinzu.
    Sie kicherte. Das ekelte mich an. Wenn sie gekreischt oder geweint oder sich meinethalben in tiefer Ohnmacht mit der Nase voran hingeworfen hätte, dann wäre mir das recht gewesen. Aber sie kicherte nur. Plötzlich kam ihr alles sehr komisch vor. Sie hatte sich als Isis fotografieren lassen, und jemand hatte das Foto geklaut, und einer hatte Geiger vor ihren Augen umgeballert, und sie war dabei besoffener als ein Kameradschaftsabend, und plötzlich war das alles nur noch komisch. Also kicherte sie. Sehr witzig.
    Das Kichern wurde lauter und rannte im Karree wie Ratten hinter der Täfelung. Sie fing an, hysterisch zu werden. Ich glitt vom Schreibtisch und trat dicht vor sie hin und verabreichte ihr eine Backpfeife.
    »Genau wie gestern abend«, sagte ich. »Eine tolle Nummer geben wir ab. Reilly und Sternwood oder Zwei Witzbolde suchen einen Zirkus.«
    Das Kichern erstarb, aber aus der Ohrfeige machte sie sich so wenig wie am Abend zuvor. Wahrscheinlich war allen ihren Jungens nichts anderes übrig geblieben, als ihr früher oder später eine zu langen. Ich konnte das jedenfalls gut begreifen.
    Ich setzte mich wieder auf die Ecke des schwarzen Schreibtischs.
    »Sie heißen ja gar nicht Reilly«, sagte sie ernsthaft. »Sie heißen Philip Marlowe. Sie sind Privatdetektiv. Viv hatś mir erzählt. Sie hat mir Ihre Karte gezeigt.« Sie strich sich über die Wange, die ich geschlagen hatte. Sie lächelte mich an, als sei es nett, so mit mir zusammen.
    »Na also, Sie erinnern sich doch«, sagte ich. »Und Sie sind zurückgekommen, um nach dem Foto zu suchen, und konnten nicht ins Haus, stimmtś?«
    Ihr Kinn ruckte runter und wieder rauf. Sie kriegte ihr Lächeln hin. Sie machte mir Augen. Sie hatte mich schon am Gängelband. Gleich würde ich losjuchzen und sie nach Yuma einladen.
    »Das Foto ist weg«, sagte ich. »Ich habś gestern abend gesucht, bevor ich Sie heimbrachte. Sicher hat Brody es mitgenommen. Sie tischen mir doch kein Märchen auf über Brody?«
    Sie schüttelte ernst den Kopf.
    »Es ist alles nur Tüttelkram«, sagte ich. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Nur, erzählen Sie keiner Seele, wo Sie gewesen sind, gestern abend und heute. Nicht mal Vivian.
    Vergessen Sie einfach, daß Sie hier waren. Reilly macht das schon.«
    »Sie heißen doch gar nicht –«, fing sie wieder an und brach dann ab und schüttelte energisch den Kopf zur Bestätigung dessen, was ich gesagt oder was sie sich gerade gedacht hatte.
    Ihre Augen wurden schmal und fast schwarz und so durchschimmernd wie Emaille auf einem Snackbartablett. Sie hatte soeben eine Erleuchtung. »Ich muß jetzt nach Hause«, sagte sie, als hätten wir gerade mal eben ein Täßchen Tee zusammen getrunken.
    »Klar.«
    Ich rührte mich nicht. Sie warf mir noch so einen schlauen Blick zu und ging zur Tür. Sie hatte ihre Hand auf der Klinke, als wir beide einen Wagen kommen hörten. Sie sah mich mit Frageaugen an. Ich zuckte die Achseln. Der Wagen hielt direkt vorm Haus. Schrecken verzerrte ihr Gesicht. Man hörte Schritte, dann klingelte es. Carmen sah über die Schulter zu mir zurück, ihre Hand umklammerte den Türgriff, sie sabberte fast vor Angst. Es klingelte weiter. Dann hörte das Klingeln auf. Ein Schlüssel klimperte an der Tür, und Carmen sprang zurück und stand ganz starr. Die Tür flog auf. Ein Mann trat flink ein und hielt jäh an. Ruhig, vollkommen gefaßt, starrte er uns an.

13
    Der Mann war grau, ganz grau, außer seinen blankpolierten,

Weitere Kostenlose Bücher