Der große Schlaf
an ihm vorbei in die Wohnung.
Es war ein freundlicher Raum mit guten Möbeln und nicht zu vielen. In der hinteren Wand gingen große Fenster auf eine steinerne Veranda und blickten in die Dämmerung der Vorberge. Nahe den Fenstern eine geschlossene Tür in der Westwand und nahe der Eingangstür eine weitere Tür in derselben Wand. Davor hing ein Plüschvorhang an einer dünnen Messingstange unter dem oberen Türbalken.
Blieb noch die Ostwand, in der keine Türen waren. Ein Diwan war in der Mitte darangerückt, also setzte ich mich auf den Diwan. Brody schloß die Tür und bewegte sich nach Krabbenart zu einem großen Eichenschreibtisch, der mit viereckigen Nägeln beschlagen war. Eine Zedernholzschachtel mit vergoldeten Scharnieren stand auf der herausgezogenen Platte des Schreibtisches. Er trug das Kästchen zu einem Sessel auf halbem Weg zwischen den beiden anderen Türen und setzte sich. Ich legte meinen Hut auf den Diwan und wartete.
»Nun, ich höre«, sagte Brody. Er öffnete die Zigarrenkiste und ließ seine Zigarettenkippe in eine Schale neben sich fallen.
Er steckte sich eine lange, dünne Zigarre in den Mund.
»Zigarre?« Er warf mir eine herüber.
Ich griff danach. Brody nahm einen Revolver aus der Zigarrenkiste und zielte auf meine Nase. Ich sah mir den Revolver an. Es war ein schwarzer .38er, Polizeimodell. Ich hatte gegen ihn im Augenblick kein Argument zur Hand.
»Gut, was?« sagte Brody. »Stehn Sie doch malń Moment auf. Und jetzt so an die zwei Schritt vorwärts. Sie dürfen dabei auch ein bißchen nach Luft grapschen.« Seine Stimme war die gut einstudierte, lässige Stimme des harten Burschen aus dem Kino. Das Kino hat sie alle gleich gemacht.
»Ts, ts«, sagte ich und rührte mich kein bißchen. »So viele Kanonen in der Stadt und so wenig Gehirn. Sie sind in den letzten Stunden schon der zweite, der mir über den Weg läuft und sich einbildet, er hielte die Welt beim Schwanz, nur weil er eine Wumme in der Hand hat. Seien Sie kein Dummkopf und tun Sie sie weg, Joe.«
Er schob die Augenbrauen zusammen und schubste mir sein Kinn entgegen. Er guckte gemein.
»Der andere Knabe hieß Eddie Mars«, sagte ich. »Schon von ihm gehört?«
»Nein.« Brody hielt mir weiter seine Waffe entgegen.
»Wenn es dem je dämmert, wo Sie letzte Nacht im Regen waren, dann kassiert er Sie wie ein Kassierer Ihr Bargeld.«
»Was wäre ich schon für Eddie Mars wert?« fragte Brody kalt. Aber er ließ die Waffe auf sein Knie sinken.
»Nicht mal eine Erinnerung«, sagte ich.
Wir starrten uns an. Ich blickte nicht hin auf den spitzen, schwarzen Slipper, der unter dem Plüschvorhang vor der Tür zu meiner Linken hervorsah.
Brody sagte ruhig: »Verstehn Sie mich nicht falsch. Ich bin kein ausgekochter Junge - nur vorsichtig. Ich weiß nicht den kleinsten Piep über Sie. Genausogut können Sie ein Totmacher sein.«
»Sie sind aber nicht vorsichtig genug«, sagte ich. »Diese Masche mit Geigers Büchern war behämmert.«
Er holte langsam tief Atem und ließ ihn vorsichtig wieder raus. Dann lehnte er sich zurück und schlug seine langen Beine übereinander und hielt den Colt auf seinem Knie. »Glauben Sie bloß nicht, ich würde diese Spritze nicht benutzen, wennś drauf ankommt«, sagte er. »Was haben Sie zu erzählen?«
»Lassen Sie Ihre Freundin mit den spitzen Slippers reinkommen. Sie ist schon ganz müde vom Luftanhalten.«
Brody rief, ohne die Augen von meinem Bauch abzuwenden:
»Komm schon rein, Agnes.«
Der Vorhang schwang beiseite, und die grünäugige, hüftenschwenkende Aschblonde aus Geigers Laden trat zu uns ins Zimmer. Sie sah mich mit einem richtigen Mordshaß an. Ihre Nasenlöcher waren ganz klein, und ihre Augen waren um einige Schatten dunkler. Sie sah sehr unglücklich aus.
»Ich habś gleich gewußt, daß Sie nur verdammten Ärger machen würden«, fuhr sie mich an. »Ich hab Joe gesagt, er soll aufpassen, wo er hintritt.«
»Er sollte lieber aufpassen, nicht wo er hintritt, sondern worein ihm getreten werden könnte«, sagte ich.
»Das soll wohl komisch sein«, sagte die Blonde.
»Das ist es mal gewesen«, sagte ich. »Aber jetzt bestimmt nicht mehr.«
»Sparen Sie sich Ihre Gags«, riet mir Brody. »Joe paßt mächtig auf, wohin er tritt. Mach ein bißchen Licht, damit ich sehe, wohin ich ballere, wenn ich den Knilch umpusten muß.«
Die Blonde knipste Licht in einer großen, eckigen Stehlampe an. Sie sank in einen Sessel neben der Lampe und blieb steif sitzen, als ob ihr der
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