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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Mars durchgebrannt.
    Carol Lundgren, das Mordsbübchen mit dem begrenzten Wortschatz, war auf lange, lange Zeit aus dem Verkehr, sogar wenn sie ihn nicht aufs Stühlchen über einem Bottich voll Säure festschnallten. Das würden sie auch bestimmt nicht tun, weil er ein Schuldgeständnis ablegen und dem Staat Geld ersparen würde. Denn das machen sie alle, wenn sie sich keinen großen Verteidiger leisten können. Agnes Lozelle war als wichtige Zeugin in Schutzhaft. Wenn Carol ein Schuldgeständnis ablegte, würden sie sie nicht brauchen, und wenn er bei Vorführung gestände, würden sie sie sofort rauslassen. Geigers Geschäfte würden sie nicht zur Sprache bringen, und davon abgesehen hatten sie ihr nichts zur Last zu legen.
    Blieb meine Wenigkeit. Ich hatte einen Mord verheimlicht und vierundzwanzig Stunden lang Beweismaterial
    zurückgehalten, aber ich war noch immer auf freiem Fuß und wartete auf einen Fünfhundert-Dollar-Scheck. Das Klügste, was ich tun konnte, war, noch einen zur Brust zu nehmen und den ganzen Mist zu vergessen.
    Da dies, wie gesagt, das offensichtlich Klügste war, rief ich Eddie Mars an und sagte ihm, ich käme am Abend nach Las Olindas hinunter, um mit ihm zu reden. So ein kluger Junge war ich.
    Ich kam gegen neun unten an, unter einem hohen, schweren Oktobermond, der sich in den oberen Schwaden des Strandnebels verlor. Der Cypress Club war ganz am Ende der Stadt, ein weiträumiges Fachwerk-Landhaus, das einst der Sommersitz eines reichen Mannes namens De Cazens und später ein Hotel gewesen war. Jetzt war es ein großes, dunkles, von außen schäbiges Lokal in einem dichten Hain
    windgebeugter Monterey-Zypressen, die ihm seinen Namen gaben. Es hatte riesige, verschnörkelte Veranden, rundherum Türmchen, Buntglasverzierungen um die großen Fenster, große leere Ställe an der Rückseite, die Atmosphäre traurigen Zerfalls. Eddie Mars hatte das Äußere im Ganzen so gelassen, wie er es vorgefunden hatte, statt eine MGM-Inszenierung daraus zu machen. Ich ließ meinen Wagen auf einer Straße mit sprühenden Bogenlampen und ging auf einem feuchten Kiesweg durchs Grundstück zum Hauptportal. Ein Türsteher in zweireihigem Portiersmantel ließ mich in eine gewaltige, dämmrige, schweigende Halle, aus der sich eine weiße Eichentreppe majestätisch ins Dunkel eines oberen Stockwerks emporwand.
    Ich gab Hut und Mantel ab und wartete und lauschte der Musik und dem Stimmengewirr hinter schweren Doppeltüren.
    Sie schienen sehr fern und gar nicht zur selben Welt zu gehören wie das Gebäude. Dann kam der schmächtige, käsige, blonde Mann, der mit Eddie Mars und dem Boxer in Geigers Wohnung gewesen war, durch eine Tür unter der Treppe, lächelte mich trübe an und führte mich durch einen teppichbelegten Gang zum Büro des Chefs.
    Das war ein quadratischer Raum mit einem tiefen, alten Erkerfenster und einem steinernen Kamin, in dem ein Feuerchen aus Zypressenscheiten vor sich hinflackerte. Er war nußbaumgetäfelt und hatte über dem Paneelwerk einen Fries von verblichenem Damast. Die Decke war hoch und fern. Es roch nach kalter See.
    Eddie Marsś dunkler, prunkloser Schreibtisch gehörte nicht ins Zimmer, sowenig wie alles andere, das nach 1900 gemacht war. Sein Teppich sah aus wie gebräunt von der Sonne Floridas. In der Ecke stand ein Radio und auf einem Kupfertablett neben einem Samowar ein Teeservice aus Sevres.
    Ich hätte gern gewußt, für wen das da war. In der Ecke befand sich auch eine Tür mit Zeitschloß. Eddie Mars grinste mich freundlich an und schüttelte mir die Hand und wies mit dem Kinn zum Tresor. »Ich wäre ein kleiner Fisch für jeden Einsteiger, wenn ich das nicht hätte«, sagte er gutgelaunt. »Die Ortsbullen kommen jeden Morgen vorbei und sehen zu, wie ich ihn aufmache. Ich habe das so mit ihnen vereinbart.«
    »Sie haben durchblicken lassen, Sie hätten was für mich«, sagte ich. »Was ist es?«
    »Warum die Eile? Nehmen Sie Platz, und trinken Sie einen Schluck.«
    »Von Eile keine Spur. Aber außer Geschäftlichem haben wir uns wohl nichts zu sagen.«
    »Der Drink wird Ihnen schmecken«, sagte er. Er mixte zwei Gläser und stellte meins neben einen roten Ledersessel und lehnte sich mit gekreuzten Beinen an den Schreibtisch, eine Hand in der Seitentasche seines mitternachtblauen Smokings, den Daumen mit poliertem Nagel nach außen. Im Abendanzug sah er ein bißchen härter aus als im grauen Flanell, aber wie ein Herrenreiter wirkte er noch immer. Wir tranken und

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