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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Vorderfenstern hinter Jalousien. Es stand ziemlich weit von der Straße zurück, hinter einer spärlichen Baumgruppe.
    Ein Wagen stand auf dem Kiesweg davor. Er stand undeutlich im Dunkel, aber es war sicher ein braunes Coupe und gehörte Mr. Canino. Es parkte friedlich vor der schmalen Holzveranda.
    Er ließ ihr den Wagen ab und zu für eine kleine Ausfahrt und saß dann neben ihr, die Kanone wohl immer griffbereit. Das Mädchen, das Rusty Regan hätte heiraten sollen, das Eddie Mars nicht halten konnte, das Mädchen, das mit Regan nicht weggerannt war. Netter Mr. Canino.
    Ich marschierte zurück zur Garage und bumste mit der Taschenlampe gegen die Holztür. Eine gespannte Sekunde lang herrschte Stille wie vor einem schweren Donnerschlag.
    Drinnen ging das Licht aus. Ich stand da und grinste und leckte mir den Regen von der Lippe. Ich ließ die Taschenlampe auf die Türmitte scheinen. Ich grinste in den weißen Kreis hinein.
    Ich war da, wo ich hinwollte.
    Eine Stimme sprach durch die Tür, eine mürrische Stimme:
    »Was wollń Sie?«
    »Machen Sie auf. Ich steh auf der Autostraße und hab zwei Platte und nur ein Ersatzrad. Ich brauch Hilfe.«
    »Tut mir leid, Mister. Wir haben geschlossen. Realito ist eine Meile weiter. Versuchen Sieś da.«
    Das gefiel mir nicht. Ich wummerte hart gegen die Tür. Ich hämmerte weiter. Eine zweite Stimme ließ sich vernehmen, eine Stimme, die wie ein kleiner Dynamo hinter einer Wand schnurrte. Diese Stimme gefiel mir. Sie sagte: »Sie wollenś wissen, wa? Mach auf, Art.«
    Ein Bolzen quietschte, und eine Türhälfte wich nach innen.
    Meine Taschenlampe flammte kurz auf ein hageres Gesicht.
    Dann fuhr etwas Blitzendes nieder und schlug mir die Lampe aus der Hand. Eine Pistole war auf mich gerichtet. Ich beugte mich nieder zum feuchten Boden, wo die Taschenlampe brannte, und hob sie auf.
    Die mürrische Stimme sagte: »Mach die Lampe aus, Bubi, wenn du dir nich wehtun willst.«
    Ich knipste sie aus und richtete mich auf. In der Garage ging Licht an, zeigte die Umrisse eines großen Mannes im Overall.
    Er trat von der offenen Tür zurück und hielt mich mit seiner Kanone in Schach.
    »KommŚie rein und machen Sie die Tür zu, Fremder. Wir wolln sehn, was sich machen läßt.«
    Ich trat ein und schloß die Tür hinter mir. Ich sah auf den hageren Mann, aber nicht auf den anderen, der im Schatten an einer Werkbank stand, schweigend. Die Luft in der Garage war süßlich und schwer vom Geruch heißer Pyroxylinfarbe.
    »Ha´m Sie den Verstand verloren?« schimpfte der hagere Mann. »In Realito ha´m se heut´ mittag ńe Bank überfallen.«
    »´tschuldigung«, sagte ich und erinnerte mich an die Leute, die im Regen auf die Bank starrten. »Ich binś nicht gewesen.
    Ich bin fremd in der Gegend hier.«
    »Tja, ń Banküberfall«, sagte er verdrossen. »Angeblich sindś ń paar Rotznasen gewesen, die sie in den Bergen hinten schon aufgespürt haben.«
    »ńe gute Nacht zum Sichverkrümeln ist es ja«, sagte ich.
    »Vermutlich haben sie Reißnägel ausgestreut. Ich hab jedenfalls ń paar abbekommen. Ich dachte schon, Sie wollten Ihrem Geschäft ń bißchen auf die Beine helfen.«
    »Sie haben wohl lange keine geballert bekommen, Mister, oder?« fragte mich knapp der hagere Mann.
    »Nicht von einem Ihres Kalibers.«
    Die schnurrende Stimme drüben im Schatten sagte: »Laß deine wüsten Drohungen, Art. Der Mann sitzt in der Patsche.
    Schließlich betreibst du ńe Garage, oder nicht?«
    »Danke«, sagte ich und sah ihn auch jetzt noch nicht an.
    »Okay, okay«, brummte der Mann im Overall. Er steckte seine Waffe durch einen Schlitz in die Tasche, biß sich auf den Knöchel und starrte mich übellaunig an. Der Geruch der Pyroxylinfarbe war widerwärtig wie Äther. Drüben in der Ecke stand unter einer Zuglampe eine große, wie neu aussehende Limousine, auf dem Kotflügel lag eine Lackierpistole. Nun blickte ich den Mann bei der Werkbank an. Er war klein und untersetzt, mit breiten Schultern. Er hatte ein kühles Gesicht und kühle, dunkle Augen. Der braune Wildleder-Regenmantel mit Gürtel, den er trug, war ziemlich naßgeregnet. Sein brauner Hut saß verwegen schief. Er lehnte mit dem Rücken an der Werkbank und musterte mich ohne Eile, ohne Interesse, als betrachte er sich ein Stück rohes Fleisch. Vielleicht sah er die Menschen so.
    Er ließ seine dunklen Augen langsam an mir auf und nieder gleiten und betrachtete dann seine Fingernägel, einen nach dem anderen, indem er sie gegen das Licht

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