Der große Sprung
Weisheit, die ihm jedoch ganz sicher keinen Heiligenschein einbringen würde, prägte es. Nur dieses Gesicht machte es möglich, den Greis – er hatte sich in einen schäbigen wollenen Morgenmantel gehüllt, der mit Zigarettenasche bestaubt war – mit dem gerissenen skrupellosen Drahtzieher von früher zu identifizieren, der sich in dem großen Spiel der Schiffe und Planeten den ersten Platz für seine Familie erkämpft hatte.
Auf dem Kaminsims, zwischen einer grotesken Sammlung von Andenken, war ein verblüffendes Ebenbild von Cochranes Gesicht. Es gehörte einem Häuptling der Sioux auf einer sehr guten Porzellanminiatur.
Jonas war Comyns Blick gefolgt. »Das ist Alter-Mann-der-sich-vor-seinen-Pferden-fürchtet«, sagte er voll Stolz. »Er ist ein direkter Vorfahre mütterlicherseits.« In völlig gleichem Ton fuhr er fort: »Ich habe etwas gegen Einmischungen von Fremden, besonders von Amateuren, denn sie sind unberechenbar. Sie haben uns eine Menge Ungelegenheiten gemacht, Comyn.«
»Soviel, daß Sie beschlossen, mich umlegen zu lassen?« fragte Comyn sanft.
Jonas Cochranes Augen wurden schmal und glänzten. »Mord ist der letzte Ausweg für Dummköpfe«, sagte er. »Damit habe ich mich nie abgegeben. Wovon reden Sie?«
Comyn erzählte ihm alles.
Jonas beugte sich in seinem Sessel vor und schaute an Comyn vorbei. »Steckt einer von euch dahinter? Peter?«
»Natürlich nicht«, sagte Peter verärgert. »Ich werde mit Hannay reden.«
Er verließ das Zimmer. Inzwischen hatten zwei weitere Männer es betreten. Comyn glaubte, erraten zu können, wer sie waren: Sydnas andere Brüder. Einer sah Peter sehr ähnlich, doch fehlte ihm dessen stählerne Härte. Der zweite hatte helleres Haar, ein rundliches vergnügtes Gesicht, und seine ganze Art verriet, daß er die Bequemlichkeit liebte.
Comyn sah sich jetzt auch weiter im Zimmer um. Sein Blick fiel auf einen grauhaarigen Mann mit einem Mund wie eine Stahlfalle und einem chronischen Ausdruck schlechter Laune. Das konnte nur der noch lebende von Jonas’ zwei Söhnen sein. Comyn glaubte auch den Grund für seine ewig schlechte Laune zu kennen. Der alte Jonas lebte zu lange.
Dann gab es auch noch ein paar weitere Cochranes der dritten Generation, beiderlei Geschlechts. Dazu gehörte das Mädchen neben Stanley, die immer wieder von den anderen verstört zu ihm blickte, als hätte sie Angst, er könnte wie eine Bombe hochgehen. Das mußte Sydnas Kusine sein. Es schien Stanley nicht sehr beruhigt zu haben, daß sie Ballantyne jetzt los waren. Er starrte blicklos vor sich hin und blickte nur dann unfreundlich auf, wenn seine Frau ihm etwas zuflüsterte.
Neben ihnen saß eine ältere Dame, die Alter-Mann-der-sich-vor-seinen-Pferden-fürchtet fast noch ähnlicher als Jonas sah, nur daß der alte Häuptling ein weit gütigeres Gesicht hatte.
Ungeduldig sagte sie mit scharfer Stimme: »Vater, warum vertun wir unsere Zeit mit diesem Kerl! Ich bin den weiten Weg heraufgekommen, um Geschäftliches zu besprechen, und sehe keinen Grund …«
»Wie könntest du auch«, unterbrach der alte Jonas sie ätzend. »Du bist eine Närrin, Sally, und warst immer eine. Halt den Mund und fall mir nicht auf die Nerven.«
Jemand kicherte. Jonas’ Tochter sprang auf. »Auch wenn du mein Vater bist, brauche ich mir das nicht gefallen zu lassen – und ich werde es auch nicht. Ich …«
Jonas achtete überhaupt nicht mehr auf sie. Mit den Prankenhänden, die so schwach waren, daß sie von der Anstrengung zitterten, zündete er sich eine Zigarette an. Alle wirkten amüsiert, außer Teiggesicht, die ein unglückliches Gesicht machte.
»Nimm’s nicht so tragisch, Mama«, flüsterte sie zaghaft.
Jonas widmete beiden einen flüchtigen Blick. »Frauen!« brummte er abfällig.
Peter Cochrane kehrte zurück. »Also, Comyn«, sagte er. »Hannay berichtete, daß Sie ihn niedergeschlagen und auf der Toilette deponiert haben. Er hat niemanden gesehen, der Ihnen sonst noch gefolgt wäre, und schon gar niemanden, der Ihnen nach dem Leben getrachtet hätte.«
Comyn zuckte die Schultern. »Wie hätte er auch? Schließlich war er ja geistig weggetreten. Und der andere Bursche war weit besser im Beschatten als Hannay.«
Stanley warf ein: »Wir haben auch nur Comyns Behauptung, daß jemand ungemütlich wurde.«
»Sie haben doch nicht versucht, mit jemand anderem zu verhandeln, der Sie jetzt zum Schweigen bringen will?« fragte Peter Cochrane. »Möglicherweise haben Sie persönliche Feinde
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