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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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gegenseitig vergnügt über vereiste Pfützen stießen und schoben, die im Schnee saßen und einander umarmten oder um die Schneemänner herumtanzten, die an jeder Ecke aufgebaut waren. Paul faßte Adrianne fest am Ellbogen; er war ein wenig traurig, weil wegen ihres langen Mantels und ihrer Kapuze nicht jeder sehen konnte, welch außerordentlich hübsche Frau an seiner Seite ging.
    Was an der Tür des Adventuary Wache stand und zunächst ein gewaltiger Mann zu sein schien, erwies sich als eine gewaltige Frau. Sie war barfuß und trüg keine Kopfbedeckung; ihr weißes Wollkleid war ärmellos, so daß man ihre langen und muskulösen Arme sehen konnte. Als Paul und Adrianne auf sie zukamen, kreuzte sie ihre Handgelenke über dem Kopf und machte damit das Freudenzeichen der Schneekinder.
    »Wie seid ihr gekommen?« fragte sie mit leiser Stimme.
    »Canadian Pacific Airlines«, antwortete Paul.
    »Wie seid ihr gekommen?« wiederholte sie.
    »Im Stiergeiste«, sagte Adrianne rasch.
    Die Frau senkte die Arme und gab den Eingang frei.
    »Woher wußtest du, was sie hören wollte?« fragte Paul.
    Adrianne gab keine Antwort.
    Im Adventuary war die Luft warm. Paul stellte fest, daß der Meditationsraum leer war und zählte nur drei Schneekinder, die schweigend an dem glühenden Schmelztiegel auf der entgegengesetzten Seite arbeiteten. Alle Tätigkeit vollzog sich am Ende der Halle, wo Schneekinder ihre Schuhe und Kleider auszogen und einander mit dem Freudenzeichen grüßten, als sie durch den Luftvorhang zum Atlantis-Becken gingen.
    Als sie die Treppe zur Sternwarte erreicht hatten, drückte Paul Adriannes Ellbogen ein wenig fester und flüsterte ihr ins Ohr: »Warte hier einen Augenblick, ich möchte mal schnell nachsehen, ehe wir hineingehen …«
    Sie nickte.
    »Hab’ keine Angst«, sagte er und ging die Treppe hinauf.
    Diesmal trübten ihm keine Dämpfe die Sicht; er konnte die ganze Ausdehnung der Inseln, Seen und Kanäle überblicken und war erstaunt, sie doppelt so groß zu finden, als er sie in Erinnerung hatte. Nackte Schneekinder schwammen zu den verschiedenen Inseln; ihre Körper schillerten in den roten, gelben, blauen und grünen Lichtern, die unter der Oberfläche des Wassers glühten.
    Genau unter ihm, auf Tipraolti, sah er Jungen und Mädchen im Halbkreis um eine Frau sitzen, die ein kurzes gelbes Kleid trug. Als sie sich niederbeugte, um einem kleinen Jungen aus dem Wasser herauszuhelfen, sah Paul, daß es Mrs. Chen war.
    Im entferntesten Winkel, auf Lyonesse, entdeckte er Terhikki, weiß gekleidet und von einer ähnlichen Gruppe Schneekinder umgeben. Winnie, schwarz angezogen, stand wie ein üppiger Schatten hinter den glitzernden Leibern, die sich auf Kusmin zusammendrängten.
    Kein Schwimmer näherte sich Ruta, wo Magdelaine allein stand; ihr anmutiger Körper war mit einem durchsichtigen Faltenkleid geschmückt.
    Einige Anwesende, noch in voller Kleidung, standen in der Nähe des Eingangs, auf Chebrexi. Paul entschied, das würde eine günstigere Stellung bieten, und eilte wieder die Treppe hinab zu Adrianne.
    Sie schritten durch den Luftvorhang, gingen bis zum Rand von Chebrexi und warteten. Als der letzte Schwimmer angekommen war und seine Stellung auf Lyonesse bezogen hatte, hob Magdelaine die Arme über den Kopf, kreuzte ihre Handgelenke und rief über das kaleidoskopähnliche bunte Gewässer:
    »Wie seid ihr gekommen?«
    »Im Stiergeiste!« schrien die Schneekinder ihr als Antwort zu; ihr Rufen wurde von der gewaltigen Kuppel zurückgeworfen, verzerrt.
    Ein einziger Akkord von Stiermusik rief Schweigen hervor.
    Magdelaine hob wieder die Arme. »Was sagen die Schneekinder des Ostens?«
    Auf Tipraolti wies Mrs. Chen auf ein kleines, dünnes Orientalenmädchen hin, das dastand und mit beiden Händen den doppelten Strang gelber Perlen um seinen Hals ergriff.
    »Ich spreche für die Stimme der Schwester im Geiste Chen«, sagte sie. »Stier ist die Einheit. Und die Menschen dieses Landes sollen zusammenfinden. Wie alle Farben zusammen Weiß ergeben, so sollen alle Rassen im weißen Land zusammenkommen. In den Völkern der Welt haben meine Schwestern der gelben Perlen, unter denen, welche die Macht ausüben, weißen Lehm verteilt. Und dies ist unser Bericht …«
    Sie löste den Griff ihrer Hände von den Perlen, atmete tief aus ihren Handflächen und begann vorzutragen. Ihre Stimme war eintönig, als sie berichtete, daß ein Land nach dem anderen der Regierung Stier Unterstützung zugesagt hatte, die bald

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