Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Scheibe neben den Flaschen – es gab gelbe und rosafarbene. Sie waren für mich wie Diamanten oder Pornografie: Ich durfte sie anschauen, aber nicht anfassen.
»Wenn Sie für heute genug gewandert sind, können Sie gern auf der Wiese hinter dem Laden kampieren«, sagte die Frau zu mir. »Wir lassen alle PCT-Hiker dort zelten.«
»Danke, das werde ich wohl tun«, sagte ich, ohne den Blick von den Flaschen zu wenden. Vielleicht konnte ich wenigstens eine in die Hand nehmen, überlegte ich mir. Mir nur kurz an die Stirn drücken. Ich öffnete die Tür und nahm eine Flasche mit rosafarbener Limonade heraus. Sie war so kalt, dass ich das Gefühl hatte, mir die Hand zu verbrennen. »Wie viel kostet die?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.
»Ich habe gesehen, wie Sie draußen Ihr Kleingeld gezählt haben«, sagte die Frau und lachte. »Wie viel haben Sie denn?«
Ich gab ihr alles, was ich hatte, dankte ihr überschwänglich und nahm die Flasche mit hinaus auf die Veranda. Jeder Schluck sandte eine Woge berauschender Glückseligkeit durch meinen Körper. Ich umschloss die Flasche mit beiden Händen, um jedes bisschen Kühle in mich aufzunehmen. Autos fuhren vor, Leute stiegen aus, gingen in den Laden, kamen wieder heraus und fuhren weg. Ich beobachtete sie eine Stunde lang aus dem siebten Snapple-Himmel, als hätte ich Drogen genommen. Nach einer Weile hielt ein Pick-up vor dem Laden. Ein Mann kletterte mit einem Rucksack in der Hand von der Ladepritsche und winkte dem Fahrer, als der weiterfuhr. Er drehte sich um und erspähte meinen Rucksack.
»Hey«, sagte er, und ein breites Lächeln legte sich auf sein rosiges, fleischiges Gesicht. »Ein verdammt heißer Tag zum Wandern, findest du nicht auch?«
Er hieß Rex und war achtunddreißig Jahre alt, groß, rothaarig, ein geselliger, fröhlicher Typ, der mir vorkam wie einer, der andere gern umarmte. Er verschwand im Laden, kam mit drei Dosen Bier wieder heraus, setzte sich zu mir auf die Veranda und begann zu trinken. Wir unterhielten uns bis in den Abend hinein. Er war in Süd-Oregon aufgewachsen, lebte aber in Phoenix, wo er in einem Unternehmen arbeitete – als was genau, konnte er mir nicht begreiflich machen. Er war im Frühjahr von der mexikanischen Grenze bis Mojave gewandert, dann für sechs Wochen aus beruflichen Gründen nach Phoenix zurückgekehrt – er war also genau dort aus dem Trail ausgestiegen, wo ich eingestiegen war, und etwa zur selben Zeit – und setzte jetzt in Old Station seine Wanderung fort, wobei er all den Schnee elegant umgangen hatte.
»Ich glaube, du brauchst neue Stiefel«, urteilte er, als ich ihm meine Füße zeigte, und wiederholte damit nur, was schon Greg und Brent gesagt hatten.
»Aber ich kann mir keine neuen Stiefel leisten, ich habe kein Geld«, erwiderte ich, denn mittlerweile schämte ich mich nicht mehr, es zuzugeben.
»Wo hast du sie denn gekauft?«, fragte Rex.
»Bei REI.«
»Ruf sie an. Die bieten eine Zufriedenheitsgarantie. Sie werden sie gratis ersetzen.«
»Tatsächlich?«
»Ruf sie an«, sagte er.
Ich dachte den ganzen Abend darüber nach, an dem Rex und ich auf der Wiese hinter dem Laden kampierten, und auch den ganzen nächsten Tag, als ich die letzten neunzehn Kilometer bis zum McArthur-Burney Falls Memorial State Park, die zum Glück keine hohen Anforderungen stellten, in bislang ungeahntem Tempo zurücklegte. Gleich nach der Ankunft holte ich im dortigen Laden mein Versorgungspaket ab, ging zu dem Münzfernsprecher in der Nähe und rief die Vermittlung und dann REI an. Innerhalb von fünf Minuten erklärte sich die Dame, mit der ich sprach, bereit, mir zum Nulltarif mit der Nachtpost ein neues Paar Stiefel zu schicken, nur eine Nummer größer.
»Sind Sie sicher?«, fragte ich immer wieder, während ich ihr vorjammerte, wie sehr ich unter den zu kleinen Stiefeln gelitten hätte.
»Ja«, sagte sie gelassen, und damit war es offiziell: Ich liebte REI noch mehr als Snapple-Limonade. Ich nannte ihr die Adresse des Parkladens, die ich von meinem noch ungeöffneten Paket ablas. Nach dem Auflegen hätte ich vor Freude Luftsprünge gemacht, wenn das mit meinen Füßen möglich gewesen wäre. Ich riss mein Paket auf, schnappte mir die zwanzig Dollar und reihte mich in die Schlange der Touristen ein, wobei ich hoffte, dass keiner merkte, wie ich stank. Ich kaufte mir eine Eistüte, setzte mich an einen Picknicktisch und aß sie mit kaum gezügelter Freude. Rex stieß zu mir, und ein paar Minuten später
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