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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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mit einem blöden Lächeln.
    »Wir dachten, entweder in unserem Alter oder fünfzig«, sagte der mit den ausdrucksstarken Augen.
    »Hoffentlich seid ihr jetzt nicht enttäuscht«, sagte ich, und wir lachten und wurden rot.
    Sie hießen Rick, Josh und Richie und waren alle drei oder vier Jahre jünger als ich. Sie kamen aus Portland, Eugene, respektive New Orleans, hatten aber zusammen an einem geisteswissenschaftlichen College in Minnesota studiert, eine Stunde außerhalb der Zwillingsstädte Minneapolis und Saint Paul.
    »Ich bin aus Minnesota!«, rief ich, als sie es mir erzählten, aber das wussten sie bereits aus meinen Einträgen im Trail-Register.
    »Hast du noch keinen Trail-Namen?«, fragte mich einer.
    »Nicht dass ich wüsste«, antwortete ich.
    Sie hatten einen: die drei jungen Draufgänger. Hiker in Südkalifornien hatten sie so getauft, wie sie mir erzählten. Der Name passte. Sie waren wirklich drei verwegene Jungs. Sie waren von der mexikanischen Grenze bis hierher durchgewandert und hatten im Unterschied zu fast allen anderen nicht einmal die Schneegebiete ausgelassen. Trotz der Rekordschneemengen waren sie mitten durchmarschiert und gehörten zu den ganz wenigen Hikern, die in einem Rutsch den kompletten Trail von Mexiko bis Kanada absolvierten, was im Übrigen auch der Grund dafür war, dass sie mich erst jetzt eingeholt hatten. Tom, Doug, Greg, Matt, Albert, Brent, Stacy, Trina, Rex, Sam, Helen, John oder Sarah hatten sie nicht getroffen. Sie hatten nicht einmal in Ashland einen Stopp eingelegt. Sie hatten weder zur Musik von Grateful Dead getanzt, noch hatten sie Opium gekaut oder an einem Strand zwischen Felsen Sex gehabt. Sie waren einfach nur durchgeprescht, hatten zweiunddreißig und mehr Kilometer täglich zurückgelegt und seit dem Tag, als ich südlich von ihnen aus dem Trail ausgestiegen und nördlich von ihnen bei Sierra City wieder eingestiegen war, mir gegenüber ständig Boden gutgemacht. Sie waren nicht nur drei junge Draufgänger. Sie waren regelrechte Wandermaschinen.
    Mit ihnen zusammen zu sein war für mich wie ein Fest.
    Wir gingen zu dem Zeltplatz, den uns der Laden zur Verfügung stellte und wo bereits ihre Rucksäcke standen. Wir kochten, unterhielten uns und erzählten von unseren Erlebnissen auf und neben dem Trail. Sie waren mir sehr sympathisch. Wir passten gut zusammen. Sie waren süße, nette, lustige Typen und ließen mich vergessen, wie kaputt ich mich noch vor einer Stunde gefühlt hatte. Ihnen zu Ehren bereitete ich die gefriergetrocknete Himbeerpastete zu, die ich seit Wochen bei mir trug und für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte. Als sie fertig war, aßen wir sie mit vier Löffeln aus dem Topf und schliefen dann nebeneinander unter den Sternen.
    Am Morgen holten wir unsere Pakete ab und trugen sie zum Lagerplatz, um die Rucksäcke neu zu packen, bevor wir aufbrachen. Ich öffnete mein Paket, schob die Hände zwischen die glatten Ziplock-Tüten mit Lebensmitteln und tastete nach dem Umschlag mit dem Zwanzigdollarschein. Die Suche nach dem Geldumschlag war für mich jedes Mal ein aufregender Moment, aber diesmal konnte ich ihn nicht finden. Ich warf alles aus dem Paket und fuhr mit den Fingern an den Falten des Kartons entlang, aber er war nicht da. Ich stand vor einem Rätsel. Er war einfach nicht da. Ich besaß noch sechs Dollar und zwölf Cent.
    »Scheiße«, sagte ich.
    »Was ist?«, fragte einer der jungen Draufgänger.
    »Nichts«, antwortete ich. Es war mir peinlich, dass ich ständig pleite war und weder eine Kreditkarte noch ein Bankkonto in der Hinterhand hatte.
    Ich packte die Lebensmittel in meinen alten, blauen Proviantbeutel. Dass ich die 230 Kilometer bis zu meinem nächsten Versorgungspaket mit nur sechs Dollar und zwölf Cent in der Tasche würde zurücklegen müssen, machte mich wütend. Um mich zu beruhigen, sagte ich mir, dass ich dort, wo ich hinging, ohnehin kein Geld brauchte. Ich stieß jetzt in das Herz Oregons vor – der Trail führte über die Pässe Willamette, McKenzie und Santiam und durch die Wildnisgebiete Three Sisters, Mount Washington und Mount Jefferson –, und dort gab es keine Gelegenheit, meine sechs Dollar und zwölf Cent auszugeben, richtig?
    Eine Stunde später brach ich mit den drei jungen Draufgängern auf und wanderte mit ihnen den ganzen Tag kreuz und quer durch die Landschaft. Von Zeit zu Zeit hielten wir an und machten gemeinsam Rast. Was sie aßen und wie sie aßen, versetzte mich in Erstaunen. Wie die

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