Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
als ich den Schnee sah. Nicht auf dem Boden, sondern in der Luft. Es schneite in dünnen Flocken, die der Wind zu verrückten Mustern verwirbelte.
Ich hatte nicht erwartet, dass es in der Wüste regnete, und schon gar nicht, dass es schneite. Aber wo ich aufgewachsen war, hatte es nicht nur keine Berge, sondern auch keine Wüsten gegeben, und obwohl ich einige Tagesausflüge in welche gemacht hatte, wusste ich eigentlich nichts über Wüsten. Ich hatte sie für trockene, heiße und sandige Gebiete voller Schlangen, Skorpione und Kakteen gehalten. Was sie ja auch waren. Aber eben nicht nur. Sie waren noch vieles andere mehr. Sie waren vielschichtig und komplex, unerklärlich und mit nichts vergleichbar. Meine neue Existenz war mit nichts vergleichbar, wie mir an meinem zweiten Tag auf dem Trail dämmerte.
Ich bewegte mich auf völlig neuem Terrain.
Was ein Berg und was eine Wüste war, blieb nicht das Einzige, was nicht meinen Erwartungen entsprach. Ebenso wenig hatte ich erwartet, dass ich am Steißbein, an der Hüfte und vorn an den Schultern bluten würde. Oder dass ich im Durchschnitt nur knapp anderthalb Kilometer in der Stunde schaffen würde. Aber nach meinen Berechnungen – die der höchst anschauliche Reiseführer ermöglichte – hatte ich genau so viel zurückgelegt, wobei die vielen Pausen, die ich einlegte, in die tatsächlichen Wanderzeiten mit eingerechnet waren. Im Planungsstadium der Reise hatte ich ein durchschnittliches Tagespensum von zweiundzwanzig Kilometern veranschlagt, wobei von Anfang an klar gewesen war, dass ich an den meisten Tagen ein größeres Pensum würde absolvieren müssen, da in mein Mittel auch die Ruhetage eingerechnet waren, die ich alle ein oder zwei Wochen einlegen und an denen ich überhaupt nicht wandern wollte. Aber ich hatte weder meine mangelnde Fitness noch die tatsächlichen Unbilden des Trails berücksichtigt.
Von leichter Panik ergriffen, stieg ich bergab, bis aus dem Schnee wieder Nebel wurde, der Nebel sich schließlich lichtete und den Blick freigab auf das matte Grün und Braun der Berge, die mich in der Nähe und der Ferne umgaben und deren mal sanft geschwungene, mal zackige Konturen scharf vom fahlen Himmel abstachen. Die einzigen Geräusche, die ich beim Gehen hörte, waren das Knirschen meiner Stiefel auf dem steinigen Pfad und das Quietschen meines Rucksacks, das mich langsam in den Wahnsinn trieb. Ich blieb stehen, setzte den Rucksack ab und rieb den Rahmen dort, wo ich die Ursache des Quietschens vermutete, mit Lippenbalsam ein, doch als ich mich wieder in Marsch setzte, war alles beim Alten. Ich sprach laut ein paar Worte, um mich abzulenken. Es war erst knapp achtundvierzig Stunden her, dass ich mich von den Männern verabschiedet hatte, die mich zum Trail gefahren hatten, doch es kam mir wie eine Woche vor, und meine Stimme klang irgendwie fremd so ganz allein hier draußen. Ich war überrascht, dass ich noch keinem anderen Wanderer begegnet war, und rechnete damit, bald auf einen zu stoßen. Allerdings war mir meine Einsamkeit gelegen, als mich eine Stunde später plötzlich das Bedürfnis überkam, das zu tun, was ich in meinem Kopf »aufs Klo gehen« nannte, obwohl aufs Klo gehen hier draußen bedeutete, in schwebender Hocke in ein Loch zu kacken, das man vorher selbst gebuddelt hatte. Zu diesem Zweck hatte ich die Edelstahlkelle dabei, die in ihrem schwarzen Nylonfutteral mit dem Aufdruck U-Dig-It auf den Hüftgurt des Rucksacks gefädelt war.
Unter Backpackern war das so üblich, also machte ich es auch. Ich ging weiter, bis ich eine Stelle fand, wo ich es wagen konnte, mich ein paar Schritte vom Trail zu entfernen. Ich nahm den Rucksack ab, zog die Kelle aus dem Futteral, huschte hinter einen Salbeistrauch und begann zu graben. Der rötlich-beige Boden war steinig und knochenhart. Hier ein Loch buddeln zu wollen glich dem Versuch, eine Küchenanrichte aus Granit zu durchbohren. Nur ein Presslufthammer hätte hier etwas ausgerichtet. Oder ein Mann, dachte ich wütend und stach mit der Spitze der Kelle auf den Boden ein, bis ich meinte, meine Handgelenke würden brechen. Ich hackte und hackte ohne jeden Erfolg, bis mir der kalte Schweiß ausbrach. Ich musste aufstehen, damit ich mir nicht in die Hosen schiss. Ich hatte keine andere Wahl. Ich zog sie herunter – inzwischen trug ich keine Unterhose mehr, weil sie das Problem mit meinen wunden Hüften nur verschärfte –, hockte mich einfach hin, und ab die Post. Ich war so schwach vor
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