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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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den Tag an den Golden Oak Springs damit zu, mit dem Kompass in der Hand in Staying Found zu lesen. Ich fand Norden, Süden, Osten und Westen. Ich marschierte ohne Rucksack beschwingt eine Jeep-Piste entlang, die zu der Quelle heraufführte, und sah mich ein wenig um. Es war herrlich, ohne Rucksack zu laufen, trotz Blasen an den Füßen und Muskelkater. Ich hatte nicht nur das Gefühl, endlich wieder aufrecht zu gehen, sondern regelrecht gehoben zu werden, als wären von oben zwei Gummibänder an meinen Schultern befestigt. Jeder Schritt war wie ein federleichter Hopser.
    An einem Aussichtspunkt blieb ich stehen und blickte ins Land. Überall nur Wüstenberge, schön und karg, und wieder Reihen weißer Windräder in der Ferne. Ich kehrte zum Lagerplatz zurück, baute den Kocher auf und versuchte, mir eine warme Mahlzeit zuzubereiten, meine erste auf dem Trail. Doch es wollte mir einfach nicht gelingen, den Kocher zum Brennen zu bringen, ganz gleich was ich versuchte. Ich kramte die Gebrauchsanweisung hervor, studierte das Kapitel »Fehlersuche« und erfuhr, dass ich den Kochermit dem falschen Brennstoff befüllt hatte. Ich hatte bleifreies Benzin anstelle des erforderlichen Reinbenzins genommen, und jetzt war die Düse verstopft und der kleine Brennkopf verrußt.
    Aber ich war ohnehin nicht hungrig. Mein Hunger war wie ein tauber Finger, der sich kaum bemerkbar machte. Ich aß eine Hand voll Thunfischflocken und schlummerte um Viertel nach sechs ein.
    Bevor ich am vierten Tag aufbrach, verarztete ich meine Wunden. Ein Mitarbeiter von REI hatte mir zum Kauf einer Dose Spenco 2nd Skin geraten – das waren Gelpads, die eigentlich zur Behandlung von Verbrennungen gedacht, zufällig aber auch hervorragend gegen Blasen waren. Ich bepflasterte meine Haut damit überall, wo sie blutete, Blasen warf oder gerötet war – vorn an den Zehen und hinten an den Fersen, an den Hüftknochen, vorn an den Schultern und im unteren Rückenbereich. Als ich fertig war, schüttelte ich meine Wollsocken aus, damit sie weicher wurden, bevor ich sie anzog. Ich hatte zwei Paar, aber beide waren steif vor Dreck und getrocknetem Schweiß. Sie fühlten sich an wie aus Pappe, obwohl ich sie alle paar Stunden wechselte und das Paar, das gerade Pause hatte, zum Trocknen an die Spanngummis am Rucksack hängte.
    Als ich an diesem Morgen an der Quelle loswanderte, wieder voll beladen mit zusätzlich zwölf Kilo Wasser, kam mir zu Bewusstsein, dass ich auf eine seltsam abstrakte, rückblickendeArt sehr wohl meinen Spaß hatte. Wenn ich einmal nicht von meinen diversen Blessuren gepeinigt wurde, bemerkte ich durchaus die Schönheit, die mich umgab, wunderbare Dinge, große wie kleine: die Farbe einer Wüstenblume, an der ich im Gehen vorbeistrich, oder den herrlichen Himmelsbogen über den Bergen, wenn die Sonne versank. Solchen Gedanken hing ich nach, als ich plötzlich auf losen Steinchen wegrutschte, zu Fall kam und mit dem Gesicht nach unten so hart auf dem Pfad aufschlug, dass mir die Luft wegblieb. Eine gute Minute blieb ich regungslos liegen, von dem brennenden Schmerz in meinem Bein und dem enormen Gewicht auf meinem Rücken förmlich am Boden festgenagelt. Dann kroch ich unter dem Rucksack hervor und besah mir den Schaden. Ich blutete stark aus einer klaffenden Wunde am Schienbein, unter der bereits eine faustgroße Beule wuchs. Ich goss etwas von meinem kostbaren Wasser darüber, schnippte so gut es ging Schmutz und Steinchen weg und drückte Verbandsmull darauf, bis die Blutung einigermaßen gestillt war, dann humpelte ich weiter.
    Den restlichen Nachmittag heftete ich den Blick fest auf den Weg unmittelbar vor mir, da ich keinen zweiten Sturz riskieren wollte. Und dann entdeckte ich, wonach ich seit Tagen Ausschau hielt: die Spur eines Pumas. Er war vor nicht allzu langer Zeit den Pfad entlanggelaufen, und in dieselbe Richtung wie ich – auf den nächsten fünfhundert Metern waren die Abdrücke seiner Pfoten deutlich im Boden zu erkennen. Ich blieb alle paar Minuten stehen und schaute mich um. Abgesehen von wenigen grünen Tupfern präsentierte sich die Landschaft vorwiegend in blassgelben bis gelbbraunen Tönen, denselben Farben wie ein Berglöwe. Im Weitergehen dachte ich an einen Zeitungsartikel über drei Frauen in Kalifornien, auf den ich unlängst gestoßen war – alle drei waren im vergangenen Jahr bei verschiedenen Gelegenheiten von einem Puma getötet worden –, und an all die Natursendungen, die ich als Kind gesehen hatte und in

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