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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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dasselbe hinaus. Ich konnte in die Richtung zurückgehen, aus der ich gekommen war, oder ich konnte weiter in die Richtung gehen, in die ich hatte gehen wollen. Der Bulle, so musste ich mir eingestehen, konnte in jeder Richtung sein, da ich die Augen zugekniffen und deshalb nicht gesehen hatte, wohin er gerannt war. Ich hatte nur die Wahl zwischen einem Bullen, der mich zurücktrieb, und einem Bullen, der mich vorwärtstrieb.
    Also ging ich weiter.
    Ich musste mir alles abverlangen, um vierzehn Kilometer am Tag zu schaffen. Weit mehr, als ich körperlich je hatte leisten müssen. Mein ganzer Körper tat mir weh. Bis auf mein Herz. Ich begegnete niemandem, aber seltsamerweise vermisste ich auch niemanden. Ich sehnte mich nur nach etwas zu essen, nach etwas zu trinken und nach einer Gelegenheit, den Rucksack abzusetzen. Trotzdem schleppte ich ihn immer weiter. Die trockenen Berge hinauf und hinunter und um sie herum. Jeffrey-Kiefern und Schwarzeichen säumten den Pfad, der von Zeit zu Zeit eine Jeep-Piste kreuzte. Laster hatten ihre Spuren in die Pisten gegraben, von ihnen selbst war aber nichts zu sehen.
    Am Morgen des achten Tags bekam ich Hunger und kippte meinen gesamten Proviant auf den Boden, um Inventur zu machen. Mit einem Mal sehnte ich mich nach einer warmen Mahlzeit. Obwohl mir die Strapazen auf den Appetit schlugen, hatte ich das meiste von dem gegessen, was ich nicht zu kochen brauchte – die Müslis und Nüsse, das Dörrobst, die Thunfischflocken und das Puten-Trockenfleisch, die Eiweißriegel, die Schokolade und das Sojamilchpulver. Der größte Teil vom Rest musste gekocht werden, und ich hatte keinen funktionierenden Kocher. Das nächste Versorgungspaket erwartete mich erst in Kennedy Meadows, das 215 Kilometer von meinem Startpunkt entfernt lag. Ein routinierter Wanderer hätte diese 215 Kilometer in derselben Zeit zurückgelegt, die ich bereits auf dem Trail unterwegs war. Ich hatte nicht einmal die Hälfte geschafft. Und selbst wenn mir der verbliebene Proviant bis Kennedy Meadows reichen sollte, musste ich trotzdem meinen Kocher reparieren lassen und mir den richtigen Brennstoff besorgen – und in Kennedy Meadows, eher ein Rastplatz für Jäger, Wanderer und Angler als eine richtige Ortschaft, war das wahrscheinlich nicht möglich. Während ich also zwischen lauter Ziplock-Beuteln mit Trockennahrung, die ich nicht kochen konnte, auf der Erde hockte, beschloss ich, den Trail zu verlassen. Unweit der Stelle, wo ich saß, kreuzte der PCT mehrere Jeep-Pisten, die in unterschiedliche Richtungen führten.
    Ich folgte einer der Pistenstraßen, denn ich sagte mir, dass ich irgendwann auf Zivilisation stoßen musste, und zwar in Form eines Highways, der etwa dreißig Kilometer östlich parallel zum Trail verlief. Ich wusste nicht genau, auf welcher Straße ich mich befand, vertraute aber darauf, dass sie mich an mein Ziel bringen würde. Ich marschierte in der prallen Sonne. Ich konnte mich selbst riechen. Ich hatte zwar ein Deo dabei und rieb mir jeden Morgen damit die Achselhöhlen ein, aber das brachte nichts mehr. Seit über einer Woche hatte ich nicht mehr geduscht. Mein Körper starrte vor Dreck und Blut, und meine Haare, voller Staub und getrocknetem Schweiß, klebten mir unter dem Hut am Kopf. Ich spürte, dass meine Muskeln mit jedem Tag kräftiger wurden, aber auch, dass meine Sehnen und Gelenke im selben Maße abbauten. Meine Füße schmerzten innen und außen, waren wund und voller Blasen, müde vom vielen Laufen. Zum Glück war die Straße eben oder leicht abschüssig und bot eine willkommene Abwechslung zum ewigen Auf und Ab des Trails, aber ich litt trotzdem. Zeitweise versuchte ich mir vorzustellen, dass ich gar keine Füße hätte, sondern dass meine Beine in zwei unempfindlichen Stümpfen endeten, die alles aushielten.
    Nach vier Stunden begann ich, meinen Entschluss zu bereuen. Ich konnte hier draußen verhungern oder von freilaufenden Longhorn-Bullen tot getrampelt werden, aber auf dem PCT wusste ich wenigstens, wo ich war. Ich zog wieder meinen Führer zurate, da mir Zweifel kamen, ob ich mich überhaupt auf einer der Straßen befand, die dort flüchtig beschrieben waren. Jede Stunde zückte ich Karte und Kompass und bestimmte meine Position. Ich kramte Staying Found hervor und las noch einmal genau nach, wie Karte und Kompass benutzt wurden. Ich orientierte mich zusätzlich am Stand der Sonne. Ich kam an einer kleinen Kuhherde vorbei. Die Weide war nicht eingezäunt. Beim Anblick der

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