Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
Vom Netzwerk:
alle drei verwirrt und mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Sie lebten vielleicht dreißig Kilometer vom Pacific Crest Trail entfernt und hatten noch nie davon gehört. Keiner konnte begreifen, was eine Frau dazu bewog, allein auf dem Trail zu wandern, und Frank und Walter gaben mir das durch die Blume auch zu verstehen.
    »Also ich finde es irgendwie cool«, sagte Carlos nach einer Weile. Er war achtzehn und wollte, wie er mir erzählte, demnächst zum Militär.
    »Vielleicht sollten Sie lieber dasselbe machen wie ich«, schlug ich vor.
    »Nee!«, erwiderte er.
    Die Männer stiegen wieder in den Laster und ich hinten auf die Pritsche, und wir fuhren ein paar Kilometer bis zu der Stelle, wo Walter seinen Laster geparkt hatte. Er und Carlos stiegen um und fuhren davon, und ich blieb mit Frank, der noch eine Stunde zu arbeiten hatte, allein zurück.
    Ich setzte mich ins Führerhaus des gelben Lasters und sah zu, wie Frank mit einem Traktor auf und ab fuhr und die Straße planierte. Jedes Mal, wenn er vorbeikam, winkte er mir zu, und wenn er sich entfernte, erkundete ich heimlich das Innere des Lasters. Im Handschuhfach lag ein silberner Flachmann mit Whiskey. Ich nahm einen kleinen Schluck und legte ihn mit brennenden Lippen eilends wieder zurück. Dann fasste ich unter den Sitz und zog einen schmalen schwarzen Karton hervor. Ich hob den Deckel. Ein Revolver lag darin, so silbern wie der Flachmann. Ich machte den Karton wieder zu und schob ihn unter den Sitz zurück. Die Schlüssel steckten im Zündschloss, und träge überlegte ich, was wohl passieren würde, wenn ich die Kiste anließ und davonfuhr. Ich zog die Stiefel aus und massierte mir die Füße. Der kleine blaue Fleck am Knöchel, den ich mir beim Fixen in Portland geholt hatte, war noch da, hatte aber ein mattes fieses Gelb angenommen. Ich fuhr mit dem Finger darüber, über die leicht erhöhte Einstichstelle, die in der Mitte noch zu spüren war. Ich war fassungslos. Wie hatte ich das nur tun können? Ich zog die Socken wieder an, damit ich den Fleck nicht mehr zu sehen brauchte.
    »Was für eine Art Frau sind Sie nur?«, fragte Frank, als er mit der Arbeit fertig war und wieder zu mir in den Laster stieg.
    »Was für eine Art?«, fragte ich. Wir sahen einander in die Augen, und irgendwie fiel ein Schleier von seinen, und ich sah weg.
    »Sind Sie eine Art Jane? Eine Frau, die Tarzan gefallen würde?«
    »Schon möglich«, sagte ich und lachte, obwohl ich ein mulmiges Gefühl bekam und mir wünschte, Frank würde endlich den Motor anlassen und losfahren. Er war groß, schlaksig, kantig und braungebrannt. Ein Bergmann, der für mich wie ein Cowboy aussah. Seine Hände erinnerten mich an all die Hände der Männer, die ich als Kind gekannt hatte, Männer, die ihren Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdienten, Männer, deren Hände nie sauber wurden, wie sehr sie sie auch schrubbten. Wie ich so neben ihm saß, überkam mich dieses Gefühl, das mich immer überkam, wenn ich unter bestimmten Umständen mit bestimmten Männern allein war – das Gefühl, dass alles geschehen konnte. Dass er anständig und nett blieb. Oder dass er mich packte und den Dingen von einem Augenblick auf den anderen eine ganz andere Wendung gab. Ich beobachtete seine Hände, jede seiner Bewegungen. Jede Faser meines Körpers war in höchster Alarmbereitschaft, obwohl ich ganz entspannt wirkte, als wäre ich gerade aus einem Nickerchen erwacht.
    »Ich habe eine Kleinigkeit für uns«, sagte er, griff ins Handschuhfach und zog den Flachmann heraus. »Das ist meine Belohnung nach einem harten Arbeitstag.« Er schraubte den Deckel ab und reichte mir die Flasche. »Ladies first.«
    Ich nahm sie ihm ab, führte sie an die Lippen und ließ mir den Whiskey in den Mund rinnen.
    »Ja. Die Art Frau sind Sie. So werde ich Sie nennen: Jane.« Er nahm mir den Flachmann ab und trank einen langen Schluck.
    »Wissen Sie, in Wahrheit bin ich gar nicht so allein hier draußen«, platzte ich heraus und legte mir beim Sprechen eine Lüge zurecht. »Mein Mann, er heißt Paul, wandert auch. Er ist in Kennedy Meadows losgelaufen. Wissen Sie, wo das liegt? Wir wollten beide mal die Erfahrung machen, wie es ist, allein zu wandern, also wandert er nach Süden und ich nach Norden, bis wir uns in der Mitte treffen. Den restlichen Sommer wandern wir dann zusammen.«
    Frank nickte und nahm noch einen Schluck aus dem Flachmann. »Dann ist er noch verrückter als Sie«, sagte er, nachdem er eine Weile überlegt

Weitere Kostenlose Bücher