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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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gelesen, aber ich wusste, dass er eine Naturschutzorganisation namens Sierra Club gegründet und das Gebirge sein Leben lang leidenschaftlich gegen Schafzüchter, Bergbauunternehmen, touristische Erschließung und andere Bedrohungen durch die moderne Zivilisationverteidigt hatte. Ihm und seinen Mitstreitern ist es zu verdanken, dass ein Großteil der Sierra Nevada bis heute Wildnis geblieben ist. Eine Wildnis, die jetzt offenbar eingeschneit war.
    So ganz überrascht war ich davon nicht. Die Autoren meines Wanderführers warnten vor Schnee in den High Sierras, und ich hatte mich vorbereitet. Zumindest so vorbereitet, wie ich es für ausreichend hielt, bevor ich mit meiner Wanderung auf dem PCT begann: Ich hatte einen Eispickel gekauft und mir in dem Paket, das ich in Kennedy Meadows abholen würde, geschickt. Beim Kauf des Pickels war ich davon ausgegangen, dass ich ihn nur zeitweise brauchen würde, nämlich auf den höchstgelegenen Etappen des Trails. Laut meinem Führer lag in einem normalen Jahr in der High Sierra Ende Juni und Juli, also in der Zeit, in der ich sie durchwanderte, kaum noch Schnee. Ich war nicht auf die Idee gekommen, mich zu erkundigen, ob dieses Jahr ein normales Jahr war.
    Ich fand im Nachttisch ein Telefonbuch, blätterte darin und rief die örtliche Niederlassung des Landverwaltungsamts an.
    »Oh ja, da oben liegt eine Menge Schnee«, sagte die Dame am anderen Ende der Leitung. Sie wisse zwar nichts Genaueres, könne aber mit Gewissheit sagen, dass in der Sierra dieses Jahr Rekordmengen gefallen seien. Ich erzählte ihr, dass ich auf dem PCT wanderte, darauf erbot sie sich, mich zum Trail zu fahren. Als ich auflegte, war meine Erleichterung, nicht trampen zu müssen, größer als meine Besorgnis wegen des Schnees. Er schien so weit weg, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er Probleme machen würde.
    Am folgenden Nachmittag fuhr mich die freundliche Dame vom Landverwaltungsamt zu einem Abschnitt des Trails, der Walker Pass hieß. Als ich ihr nachsah, wie sie wegfuhr, fühlte ich mich einerseits bedrückt, andererseits aber auch zuversichtlicher als zu Beginn meiner Wanderung. In den vorausgegangenen Tagen war ich von einem Longhorn-Bullen angegriffen worden, hatte mir bei Stürzen und Missgeschicken Verletzungen zugezogen und war auf einer abgelegenen Straße ahnungslos an einem Berg vorbeigelatscht, der demnächst gesprengt werden sollte. Ich war kilometerweit durch die Wüste marschiert, unzählige Berge hinauf- und hinuntergeklettert und tagelang keiner Menschenseele begegnet. Ich hatte mir Blasen an den Füßen gelaufen, mir den Körper blutig gescheuert und nicht nur mich selbst durch eine schroffe Wildnis geschleppt, sondern auch einen Rucksack, der mehr als die Hälfte meines Körpergewichts wog. Und das alles ganz allein.
    Das war doch was, oder?, dachte ich, als ich über den rustikalen Campingplatz am Walker Pass stapfte und mir einen Platz für mein Zelt suchte. Es war spät, aber noch hell, die letzte Frühlingswoche im Juni. Ich baute das Zelt auf, kochte mir auf dem reparierten Kocher meine erste warme Trail-Mahlzeit, bestehend aus Bohnen und Reis, beobachtete das großartige Farbenspiel des Himmels über den Bergen und fühlte mich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Bis Kennedy Meadows waren es noch dreiundachtzig Kilometer, fünfundzwanzig bis zu meiner ersten Wasseraufnahmestelle.
    Am Morgen belud ich den Rucksack wieder mit einem vollen Wasservorrat und überquerte den Highway 178. Die nächste Straße, die quer durch die Sierra Nevada führte, verlief 240 Kilometer Luftlinie weiter nördlich bei Tuolumne Meadows. Ich folgte dem ansteigenden, felsigen Pfad des PCT in der heißen Morgensonne. Rundherum Berge, wohin ich auch blickte: die Scodies im Süden, die El Paso Mountains weit im Osten und die Domeland Wilderness, die ich in ein paar Tagen erreichen würde, im Nordwesten. Sie sahen für mich alle gleich aus, obwohl es feine Unterschiede gab. Ich hatte mich an den ständigen Anblick von Bergen gewöhnt. Meine Wahrnehmung hatte sich in der letzten Woche verändert. Ich hatte mich auf die kilometerweiten Panoramen eingestellt und war inzwischen damit vertraut, dass ich dort wanderte, wo das Land an den Himmel stieß. Auf dem Rücken der Berge.
    Doch die meiste Zeit schaute ich gar nicht auf. Mein Blick war fest auf den sandigen und steinigen Pfad geheftet, auf dem ich immer wieder ins Rutschen geriet, wenn es bergauf oder bergab ging. Mein Rucksack

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