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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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dürfte schwierig werden.«
    »Wow«, sagte ich mit einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung – jetzt hatte ich eine Ausrede und die dazu passende Formulierung: Ich wollte ja auf dem PCT wandern, aber es ging nicht. Er war zugeschneit!
    »In Kennedy Meadows werden wir uns etwas überlegen müssen«, sagte Greg. »Ich lege dort ein paar Ruhetage ein. Ich werde also noch da sein, wenn Sie ankommen. Dann lassen wir uns etwas einfallen.«
    »Wunderbar«, sagte ich, da ich es nicht übers Herz brachte, ihm zu beichten, dass ich, wenn er in Kennedy Meadows eintraf, bereits in einem Bus nach Anchorage sitzen würde.
    »Gleich dahinter werden wir auf Schnee stoßen, und dann wird der Trail auf einer Strecke von mehreren hundert Kilometern unter Schnee begraben sein.« Er stand auf und schulterte seinen Rucksack wie nichts. Seine behaarten Beine waren wie Stegpfosten an einem See in Minnesota. »Wir haben uns das falsche Jahr für den PCT ausgesucht.«
    »Sieht ganz so aus«, sagte ich und versuchte, lässig meinen Rucksack hochzunehmen und die Arme durch die Gurte zu stecken, so wie Greg es eben getan hatte, als hätte der bloße Wunsch, einer Blamage zu entgehen, meine Muskeln plötzlich auf die doppelte Größe anwachsen lassen. Aber der Rucksack war zu schwer und hob keinen Zentimeter vom Boden ab.
    Er trat auf mich zu und half mir. »Der ist vielleicht schwer«, sagte er, während wir ihn mühsam auf meinen Rücken hievten. »Viel schwerer als meiner.«
    »Es war schön, Sie getroffen zu haben«, sagte ich, als ich den Rucksack aufhatte und mühsam den Eindruck erwecken wollte, dass ich nicht deshalb so krumm dastand, weil ich nicht anders konnte, sondern weil ich mich absichtlich nach vorn beugte. »Ich bin bisher noch niemandem auf dem Trail begegnet. Ich hätte gedacht, dass mehr Wanderer unterwegs sind.«
    »Auf dem PCT wandern nie viele. Und dieses Jahr schon gar nicht, bei den Schneemassen. Viele Leute haben davon gehört und ihre Wanderung auf nächstes Jahr verschoben.«
    »Ich frage mich, ob wir das nicht auch tun sollten«, sagte ich in der Hoffnung, er würde antworten, es sei eine großartige Idee, nächstes Jahr wiederzukommen.
    »Bisher habe ich noch keine Frau getroffen, die allein unterwegs ist. Sie sind die erste. Und auch die Einzige, die sich im Register eingetragen hat, soweit ich sehen konnte. Das ist irgendwie toll.«
    Ich antwortete mit einem gequälten Lächeln.
    »Sind Sie abmarschbereit?«
    »Bereit!«, sagte ich mit mehr Elan, als ich hatte. Ich folgte ihm auf dem Trail so schnell ich konnte und passte meine Schritte dem Klicken seines Wanderstocks an. Als wir fünfzehn Minuten später an mehrere Serpentinen kamen, blieb ich stehen und trank einen Schluck Wasser. Er ging weiter.
    »Greg!«, rief ich ihm nach. »Es war schön, Sie getroffen zu haben.«
    Er blieb stehen und drehte sich um. »Es sind nur ungefähr fünfzig Kilometer bis Kennedy Meadows.«
    »Ja«, sagte ich und nickte leicht. Er würde am nächsten Morgen dort sein. Ich würde ganze drei Tage brauchen, wenn ich so weitermachte.
    »Dort oben wird es kühler sein«, sagte Greg. »Es liegt dreihundert Meter höher.«
    »Schön«, antwortete ich matt.
    »Sie werden es schon schaffen, Cheryl«, sagte er. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Sie sind unerfahren, aber Sie sind auch zäh. Und darauf kommt es hier draußen am meisten an. Was Sie tun, kann nicht jeder.«
    »Danke«, sagte ich, so ermutigt durch seine Worte, dass es mir vor Rührung die Kehle zuschnürte.
    »Wir sehen uns dann oben in Kennedy Meadows«, sagte er und wanderte weiter.
    »Kennedy Meadows«, rief ich ihm mit einer Überzeugung nach, die ich nicht empfand.
    »Wegen des Schnees werden wir uns etwas überlegen«, rief er, bevor er meinem Blick entschwand.
    Ich wanderte an diesem heißen Tag mit frischem Elan. Gregs Vertrauen in mich beflügelte mich so, dass ich nicht mehr ans Aufgeben dachte. Stattdessen dachte ich an den Eispickel in meinem Versorgungspaket. Den Eispickel, der mir gehörte, auch wenn der Gedanke immer noch gewöhnungsbedürftig für mich war. Er war schwarz und silbrig und sah gefährlich aus, ein knapp sechzig Zentimeter langer Metalldolch mit einem kürzeren, schärferen Dolch, der quer am oberen Ende saß. Ich hatte ihn zu Hause gekauft und in das an Kennedy Meadows adressierte Paket gepackt in der Hoffnung, dass ich, wenn ich dort ankam, endlich wusste, wie man damit umging – dass ich mich auf wundersame Weise in eine erfahrene

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