Der Grüne Strahl
schwelgte, seine Weisheit an die Frau
zu bringen.
Das lag so klar auf der Hand, daß die Brüder Melvill gar
nicht wußten, welche Haltung sie dieser improvisierten Be-
lehrung gegenüber einnehmen sollten.
Miss Campbell selbst ›schnitt‹ – um in modernem Dan-
dyjargon zu sprechen – den jungen Gelehrten glattweg; erst
gab sie sich den Anschein, als sähe sie in einer ganz andern
Richtung, um ihn nicht zu hören; dann heftete sie die Augen
unverwandt auf das Schloß von Dunolly, um ihn scheinbar
gar nicht zu bemerken; endlich blickte sie auf die Spitzen ih-
rer zierlichen Badeschuhe nieder – was als nicht mißzudeu-
tendes Zeichen von Indifferenz gilt, als der Beweis vollkom-
mensten Mangels an Beachtung, den eine junge Schottin,
ebenso bezüglich der Worte eines Sprechenden wie seiner
eigenen Persönlichkeit, nur immer beizubringen vermag.
Aristobulos Ursiclos, der gewöhnlich nichts sah und
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hörte als sich selbst, der stets nur wie für sich sprach und
dozierte, bemerkte davon freilich nichts oder hatte wenigs-
tens den Anschein, nichts zu bemerken.
So vergingen der 3., 4., 5. und 6. August; am letzteren
Tag aber stieg zur großen Freude der Brüder Melvill das Ba-
rometer um einige Linien über ›Veränderlich‹.
Der folgende Tag brach unter den günstigsten Aussich-
ten an. Um 10 Uhr morgens leuchtete die Sonne in blen-
dendem Glanz und der Himmel breitete über dem Meer
seinen Azur in herrlicher Klarheit aus.
Miss Campbell konnte sich diese günstige Gelegenheit
nicht entgehen lassen. Im Schuppen des Caledonian-Hotels
wurde stets ein Wagen zu ihrer Verfügung gehalten. Jetzt
oder nie war der Augenblick gekommen, davon Gebrauch
zu machen.
Um 5 Uhr abends nahmen also Miss Campbell und die
Brüder Melvill in der Kalesche Platz, die ein mit der Leitung
eines Viergespanns wohlvertrauter Kutscher führte. Pat-
ridge nahm den Dienersitz am Rückteil ein, und die durch
eine Peitsche mit sehr langer Schnur angetriebenen Pferde
jagten auf der Landstraße von Oban nach Glachan dahin.
Aristobulos Ursiclos hatte, zu seinem größten Leidwe-
sen – wohl kaum auch zu dem von Miss Campbell – wegen
dringlicher Beschäftigung mit einer wissenschaftlichen Ab-
handlung, nicht mit von der Partie sein können.
Der Ausflug war in jeder Hinsicht höchst lohnend. Der
Wagen folgte der Straße längs der Küste und der Meerenge,
welche die Insel Kerrera vom schottischen Festland trennt.
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Die Insel, vulkanischen Ursprungs, bot einen herrlichen
Anblick, litt aber in den Augen von Miss Campbell an dem
einen unverzeihlichen Fehler, ihr die freie Aussicht über
das Meer zu rauben. Da unter diesen Verhältnissen jedoch
nur 4 1/2 Meilen zurückzulegen waren, verfehlte sie doch
nicht ganz ihre Bewunderung ihres harmonischen Profils,
dessen scharfe Linien sich von leuchtendem Hintergrund,
geschmückt mit den, die Spitze der mittelsten Bodener-
hebung bedeckenden Ruinen eines Dänenschlosses, desto
deutlicher abhoben.
»Das war einstmals der Stammsitz der MacDouglas von
Lorne«, bemerkte Bruder Sam.
»Und für unsere Familie«, fügte Bruder Sib hinzu, »be-
sitzt jenes Schloß ein besonderes geschichtliches Interesse,
weil es durch die Campbells zerstört wurde, die es nach
schonungslosem Massaker aller Bewohner in Brand steck-
ten!«
Diese Großtat schien ganz besonders den Beifall Pat-
ridges zu finden, der zur Ehre des Clans leise in die Hände
klatschte.
Als man an der Insel Kerrera vorüber war, lenkte der
Wagen in eine schmale Straße mit leichten Bodenwellen
ein, die zum Dorf Glachan führte. Dort rollte er über den
künstlichen Isthmus, der in Form einer Brücke eine schmale
Wasserstraße überspannt und die Insel Seil mit dem Fest-
land verbindet. Nach Zurücklassung des Wagens in einer
romantischen Talschlucht erklomm die kleine Gesellschaft
den ziemlich steilen Abhang eines Hügels und nahm dann
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auf hervorspringendem Felsenrand, ganz nah beim Ufer,
platz.
Diesmal konnte nichts die nach Westen gerichteten Bli-
cke der Beobachter behindern, weder das Eiland Easdale,
noch die kleine Insel Inish, die beide aussehen, als wären sie
in der Nähe von Seil gestrandet. Zwischen dem Vorgebirge
Ardanalish auf der Insel Mull, einer der größten Hebriden
im Nordwesten, und der Insel Colonsay im Südwesten er-
glänzte eine breite ununterbrochene Meeresfläche, in der
die Sonnenscheibe nun bald ihr Feuer löschen
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