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Der gute Stalin

Der gute Stalin

Titel: Der gute Stalin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Jerofejew
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platt, und dann sagte sie lachend:
    »Und da behauptest du, wir haben keine Männer!«
    Als wir uns mit Handtüchern abgetrocknet und angezogen hatten, richtete Kirilla Wassiljewna, deren Haare in alle Richtungen abstanden, an mich die strenge Frage:
    »Du wirst kein Falschgeld mehr machen?«
    »Nein.«
    »Du wirst es im Leben nicht brauchen.«
    Ich weiß nicht, warum sie da so sicher war. Die Vorhersage bewahrheitete sich nur teilweise. Nach diesem Vorfall begann es bei mir von Zeit zu Zeit in der Leistengegend angenehm zu ziehen. Mit Kirilla Wassiljewna habe ich mich nie wieder in der Wanne gewaschen. Das Kindermädchen sah ich Jahre später in Moskau auf der Straße wieder. Ich war mit Mama unterwegs, und sie kam uns entgegen. Erzählte, dass ihr Mann bei einem Frontalzusammenstoß auf der Moshaisker Chaussee ums Leben gekommen sei. Sie sah mich an, als hätte ich nie ihre rasierte Scham gesehen, als sie ihren weißen Büstenhalter auszog.
    *
    Wir hatten niemals Haustiere. Alle hatten welche, nur wir hatten keine. Meine Eltern mochten weder Katzen noch Hunde. Meine Eltern runzelten unmerklich die Stirn, wenn sie irgendwelchen Haustieren begegneten, obwohl die diplomatische Höflichkeit sie veranlasste, Hunde und Katzen von Freunden zu fragen:
    »Na, wie heißt du denn?«
    Mit Tschernomor jedoch freundeten sie sich an. Den Kinderwagen mit meinem Bruder stellten sie verbotenerweise in den Garten des Botschafters, obwohl Winogradow allen kategorisch untersagt hatte, sich dort aufzuhalten. Jewgenija Alexandrowna sagte:
    »Tschernomor ist nervös. Er mag keine Kinder.«
    Aber der Kinderwagen blieb stehen. Nur schwer kann ich mir meine Eltern vorstellen, wie sie irgendein Haustier streicheln. Hunderassen, mit Ausnahme von deutschen Schäferhunden, kannte man bei uns zu Hause nicht und wollte sie auch gar nicht kennen. In Paris war mein Traum, dass sie mir ein Äffchen kauften – das taten sie nicht. Nicht einmal Fische, wie sie am Seine-Ufer in der Nähe des »Samaritain« verkauft wurden, gab es bei uns. Auch keine Ratten, Kaninchen, Eichhörnchen im Rad, Meerschweinchen, Singvögel. Niemals schrie bei uns zu Hause ein Papagei mit seiner irren Stimme. Meine Eltern gingen nicht reiten, züchteten keine Hühner. Keine einzige Schildkröte ist je über unsere Türschwelle gekrochen. Schließlich wurde die Fotze zu meinem Haustier. Die Fotze war meine Mitstreiterin. Die Fotze war meine Künstlerin. Die Fotze war der Hexenschuss meiner Freiheit. Die Fotze hindert mich zu schreiben. Die Fotze ist die Freundin meines Lebens.
    *
    Als ich den französischen Schwachsinnigen im Kirschbaumgarten wiedersah, wollte ich ihm erzählen, wie ich Kirilla Wassiljewna gewaschen hatte, aber so viele französische Wörter standen mir nicht zur Verfügung.
    »Tu habites où?«, fragte ich.
    »Ici«, lächelte er unbestimmt, den Blick vor sich hin gerichtet.
    Wir saßen auf der Gartenmauer, die mit lila Bougainvillea und namenlosen flötenartigen roten Blumen überwuchert war, in denen immer viele Ameisen herumkrabbelten. Hinter uns rauschte der Park von Mante mit seinen Buchen. Er hielt mir eine Zigarette hin. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Ich zündete sie an, ein kleines bisschen den Rauch einziehend und Tabakkrümel spuckend. Plötzlich bemerkten wir ein französisches Pärchen, das durch den Garten ging. Sie machten einen schüchternen Eindruck, sie schlichen durch die Gegend, blickten sich um. Das hatten sie offenbar auch nötig. Sie setzten sich unter einen Kirschbaum und begannen sich zu küssen. Ich sah ironisch zu, mit schiefem Mund, wir waren viel zu weit weg, um irgendetwas erkennen zu können, und außerdem war das hier nach Kirilla Wassiljewna lächerlich, nicht der Rede wert.
    »Nachts gibt es hier viele Sterne«, brachte der Schwachsinnige überraschend hervor.
    »Ja«, stimmte ich zu.
    »Magst du Sterne?«
    »Ja.«
    »Ich auch. Komm nachts mal her. Ich zeig sie dir.« Er machte mit der Hand eine weit ausholende, einladende Geste.
    »Gut!«, freute ich mich.
    Sie hatten sich hingelegt, bei ihr blitzte etwas Weißes zwischen den Beinen auf, und dann konnte man wegen ihm fast überhaupt nichts mehr sehen. Nur ihre in die Luft gestreckten Beine. Aber als ich mich zu meinem französischen Freund umdrehte, um ihm zu sagen, dass es trotz allem nicht schlecht wäre, ein Fernglas zu haben, das ich immer mit heimlichem Beobachten assoziiert habe und nicht mit Theaterpremieren, bei denen ich niemals an der Garderobe ein Opernglas

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