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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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Verspätung
    erschien. Der Empfang der Gastgeber war natürlich ziemlich kühl, aber
    der junge Mann begann die Geschichte seines Unglücks zu erzählen.
    Die schon ziemlich weinseligen Gäste waren gerührt von seinem
    ungewöhnlichen Abenteuer, das die übermässige Verspätung
    rechtfertigte. Man fragte Tristan Bernard, was er von dem jungen
    Mann hielte. Er antwortete, er wäre ihm besonders sympathisch, da er
    selbst das gleiche Pech unter ungefähr den gleichen Umständen vor ein
    paar Tagen erlebt hätte. »Aber ich«, fügt er hinzu, »konnte nicht so gut
    erzählen, und bei mir hat man sofort gemerkt, dass ich nicht die
    Wahrheit sprach«. An die Pflicht zur Pünktlichkeit seien besonders die
    Damen erinnert. Wir wollen sie auch daran erinnern, dass sie den Hut
    abnehmen müssen, sobald die Vorstellung beginnt, auch wenn er noch
    so entzückend ist. Die Zuschauer sind der Aufführung wegen
    gekommen und nicht um einer Modenschau beizuwohnen. Und eine
    Feder am Hut sollte einem den Anblick des Kusses von Romeo und
    Julia nicht vorenthalten, nur weil man hinter einer Dame sitzt, die
    einen Hut auf dem Kopf hat.
    IM KONZERT.
    Eine Verspätung ist hier besonders zu tadeln. Beethoven und Mozart
    haben ohnehin genügend Tragödien durchlebt, als dass die
    Aufführung ihrer Musik noch unterbrochen werden müsste. Wenn die
    Theaterverwaltung nicht die Türen am Anfang eines Konzertes
    schliesst, sollten die Besucher von sich aus das Ende eines Satzes
    abwarten, ehe sie den Saal betreten.
    IM FILMTHEATER.
    Vielleicht langweilt Sie die Wochenschau oder Sie haben sie schon in
    einem anderen Kino gesehen. Das darf aber kein Grund sein, um eine
    draussen angefangene Unterhaltung während der Vorstellung
    weiterzuführen. Man sollte auch nicht zwischen zwei Sesselreihen
    stehen bleiben, um Kleingeld für das Programm zu suchen, denn man
    verdeckt zwei oder drei Personen das Bild. Sie hätten daran früher
    denken können.
    In der Zeit des stummen Films gab es im Saal immer eine gute Seele,
    die es übernahm, die Texte laut zu lesen. Wenige Filme nur
    vermochten es, trotz dieser »sprechenden« Begleitmusik die Zuschauer
    zu fesseln. Um diese Stegreifansager zum Verstummen zu bringen,
    brauchte man nur eine Bemerkung etwa in der Art zu machen:
    »Erstaunlich, wie die Volkserziehung es fertiggebracht hat, auch die
    unbegabtesten Leute fliessend lesen zu lernen«. Heute existiert eine
    andere gefährliche Klasse von Zuschauern, nämlich jene, die schon
    wissen, was geschehen wird. Sie haben eine Kritik über den Film oder
    eine jener billigen, mit Bildern des Films illustrierten Zeitschriften
    gelesen oder gar den Film bereits gesehen. Ihren Mitteilungen
    verdanken wir es, wenn die Handlung keine Ueber-raschung mehr für
    uns bereithält. Das Erdbeben von San Francisco könnte losbrechen,
    auch das kann uns nicht mehr überraschen. Was kann man gegen solch
    unverbesserliche Schwätzer tun? Vor allem: sie nicht nachahmen! Auch
    wenn wir mit Freunden in ein Kino gehen, ist es kein Grund, dass wir
    mit ihnen alles, was auf der Leinwand geschieht, so laut besprechen,
    als handele es sich um eine Privatvorstellung für uns.
    IM THEATER.
    Wir müssen es vermeiden, während der Vorstellung über das Stück
    zu sprechen. Wir sollten nicht zu schnell urteilen, und in der ersten
    Pause nur flüchten, wenn uns der Mut fehlt, bis zum Ende zu bleiben.
    Pfeifen und trampeln überlassen wir andern, weniger erzogenen oder
    leidenschaftlicheren Zuschauern. Wir bleiben im Theater stets objektiv
    und folgen dem Beispiel jener amerikanischen Filmkönige, die ohne
    mit der Wimper zu zucken, einer Revue beiwohnen, in der sie
    lächerlich gemacht werden. Eine Dame lacht im Theater nicht laut, der
    Herr darf sich mehr Lautstärke erlauben. Es ist angebracht, zu gleicher
    Zeit wie die anderen zu lachen, vorausgesetzt, dass man nicht zu jenen
    gehört, die nachträglich lachen. Wir können die Aufführung durch
    unser vereinzeltes Lachen stören und die Schauspieler verwirren, die
    nur auf eine Massenreaktion eingestellt sind. Wir dürfen weder eine zu
    kurze noch eine zu lange Leitung haben!
    AN DER GARDEROBE.
    Wenn die Aufführung zu Ende ist, ist es keine Tragödie, ein paar
    Minuten länger im Theater bleiben zu müssen. Wir beteiligen uns nicht
    an der Schlacht, die vor der Garderobe nach jeder Vorstellung
    stattfindet. Wenn wir nicht unbedingt unsere kriegerischen Instinkte
    austoben wollen und einen letzten Zug oder Omnibus erreichen
    müssen,

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