Der Gute Ton 1950
holen wir unsere Garderobe in der letzten Pause.
BEI KUNSTAUSSTELLUNGEN.
Eine Kunstausstellung ist in gewissem Sinne auch eine Vorstellung,
obwohl man sich dort ruhig unterhalten kann. Viele besuchen eine
Ausstellung nicht des Kunstgenusses wegen, sondern um sich selbst
zur Schau zu stellen. Es ist nicht taktvoll, mit lauter Stimme sein Urteil
zu verkünden, in der Absicht andere zu erziehen. Rubens und
Leonardo da Vinci warten nicht auf unser Urteil und was den
Nachwuchs betrifft, so wollen wir es den Kunstkritikern überlassen,
sich als erste über den Wert eines Bildes zu irren. Ehe wir behaupten,
dass unser vierjähriger Sohn so viel Talent wie Picasso hat, und dass
wir selbst, wenn wir wollten... müssen wir gewiss sein, dass ein Picasso
sich nicht in unserer nächsten Umgebung befindet. Unser Ausspruch
könnte ihn nur erheitern, wir aber wären verlegen, da wir das gleiche
Urteil über einen heutigen Maler gefällt haben, wie die Zeitgenossen
Cezannes und Van Goghs über diese.
WO GETANZT WIRD...
Hausbälle werden jeden Tag seltener und die Tanzkarte gehört der
Vergangenheit an. Man braucht nicht mehr mit seinem Namen zu
unterschreiben, um das Glück zu haben, mit der erwählten Dame
tanzen zu dürfen. Wer die Sitte ablehnt, dass man eine jede Frau, die
einem gefällt, zum Tanz auffordern darf, der muss Bälle und
Tanzgelegenheiten meiden. Eine Dame darf nicht den einen Tänzer
ablehnen und mit dem anderen tanzen, es sei denn der
zurückgewiesene Tänzer ist nicht mehr anwesend. Ein Herr hat das
Recht, auf einem Ball oder bei einer Tanzgelegenheit eine Dame
aufzufordern, die er garnicht kennt. Er geht zu ihrem Tisch und,
nachdem er die mit ihr am Tisch sitzenden Personen gegrüsst hat,
bittet er sie zum Tanz. Nach dem Tanz muss er sie an ihren Tisch
begleiten. Er verabschiedet sich mit einer leichten Verbeugung. In
einem einzigen Fall kann die Dame sich weigern, mit einem
Unbekannten zu tanzen: wenn sie von ihm zu jedem Tanz geladen
wird. Man kann vorschützen müde zu sein oder den Tanz bereits
versprochen zu haben, denn kein Herr darf eine Dame einen ganzen
Abend mit Beschlag belegen. Wenn ein offensichtlich verliebtes Paar
zusammensitzt, sollte ein Mann Takt genug haben, die betreffende
Dame nicht aufzufordern. Er vermeidet es lieber, sich einen Korb zu
holen.
SPORT UND SPIEL.
Sport und Spiel gehören zum Kapitel »Seid gütig und rücksichtsvoll
zu Unbekannten«, weil man beim Sport freundschaftliche Gefühle
durch sportlichen Geist ersetzt. Man beachtet selbstverständlich die
Regeln des Spiels, wer gewinnt, soll nicht übermässig triumphieren.
Die Pflichten der Galanterie des Herrn der Dame gegenüber sind beim
Sport sehr begrenzt. Ein Mann muss — Gott sei Dank! — die Frau nicht
gewinnen lassen, nur weil sie eine Frau ist. Wenn Frauen sich mit
Männern messen wollen, müssen sie ihre männlichen Eigenschaften
beweisen. Ein Tennisspieler muss nicht die Bälle in der weiten
Landschaft suchen, nur weil sie von einer Frau zu hoch geworfen
wurden, denn bei einem männlichen Partner würde er ja auch nicht so
spielen!
SKILAUFEN.
Ski laufen ist jene Sportart, welche die meiste Höflichkeit erfordert.
Man wird nicht versuchen, durch Ueberholen die Anfänger aus der
Fassung zu bringen. Man muss auch fair genug sein, einen Rekord
aufzustellen, wenn ein verwundeter Skiläufer heimgebracht werden
soll. Eine Frau trägt jedoch ihre Bretter selbst, sie soll nicht mit galanten
männlichen Partnern rechnen.
BRIDGE.
Auf Bridge angewandt, erscheinen die Worte »Sport« und »Spiel« zu
schwach, um jene Leidenschaft auszudrücken, die dem Bridge
innewohnt. Bridge ist ein so aggressives Spiel, und Fehler werden so
unbarmherzig gerügt, dass man jedem, der nicht kämpferisch genug ist
oder dessen Kenntnisse nicht ausreichen, abraten muss zu spielen.
Auch wenn man ihn inständig bittet, den vierten Mann zu spielen,
sollte er sich nicht verleiten lassen mitzuspielen.
Man bewundert vielleicht die Sieger, aber man liebt eher die Besiegten.
Wenn wir keine Weltmeister werden und unserem Gegenspieler
gefallen wollen, ist es klüger, wenn wir nicht unbedingt zu gewinnen
trachten.
WENN MAN RAUCHT..
Die Aufschrift, die man noch in alten Eisenbahnwagen findet,
»Raucher« oder »Nichtraucher« erinnern uns, dass es eine noch nicht
allzuferne Zeit gab, in der man zum Beispiel die Erlaubnis der
weiblichen Mitreisenden erbitten musste, ehe man eine
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