Der Gute Ton 1950
getroffen habe, lasse
ich Sie nicht mehr los«. Der Takt verlangt, dass Ihre Bekannten nicht
ihre ganze Zeiteinteilung ändern müssen, weil sie das
ausserordentliche Glück hatten, Ihnen zu begegnen.
DER HÄNDEDRUCK.
Es ist nicht notwendig, auf der Strasse oder in einem öffentlichen
Gebäude die Hand zu reichen.
Sehen Sie aber Bekannte bei einem privaten Zusammentreffen, so
müssen Sie sie mit Händedruck begrüssen. Der erste Anstoss zu einem
Händedruck kommt immer der bedeutenderen Person zu, in unserer
ritterlichen Gesellschaft also fast immer der Dame, wie wir schon
bemerkten, ist es dagegen die unbedeutendere Person, die den Gruss
entbietet. Der Herr nimmt als Gruss seinen Hut ab, die Dame reicht die
Hand.
Uebrigens ist es nur bei uns Sjtte, dass die weniger bedeutende
Person zuerst grüsst. In anderen Ländern gibt die Dame das Zeichen,
ob sie gegrüsst sein will oder nicht. Der Gruss ist dort nicht Ausdruck
des Respekts wie bei uns, sondern eine freundschaftliche Aeusserung.
Wenn wir jemanden während des Essens im Restaurant oder Teesalon
begrüssen, ist es nicht korrekt, sich an den Tisch zu begeben, und den
Betreffenden beim Essen zu stören. Wir grüssen nur durch Neigen des
Kopfes.
MIT ODER OHNE HANDSCHUH.
Man kann nicht vom Händedruck sprechen, ohne die
Handschuhfrage zu streifen. Man reicht nie ein behandschuhte Hand.
Dies ist nur gestattet, wenn es sich um Zeremonienhandschuhe
handelt. In neuster Zeit macht sich eine starke Strömung gegen die
Gewohnheit des Ausziehens der Handschuhe beim Gruss bemerkbar.
Dies würde in der Tat den Kontakt mit feuchten Händen im Sommer
vermeiden, und die Gefahr der Ansteckung im Winter vermindern.
Aber wir sind noch nicht so weit. Heute ist es allerdings schon
gestattet, dass eine Dame beim Händedruck einen Lederhandschuh
trägt.
DER HANDKUSS.
Viele betrachten ihn als das reizende Vorrecht entzückend
altmodischer Leute. Unsere Zeit, die so leicht über veraltete Feinheiten
hinweggeht, hat ihn lange stiefmütterlich behandelt. Das war nicht
richtig. Man hat nun den Irrtum eingesehen, und man sucht heute die
Sitte des Handkusses, der früher die zeremoniellste Begrüssungsart
war, mehr und mehr einzuführen.
In Frankreich und auch in einigen Gegenden Deutschlands, galt der
Handkuss als ein wenig unanständig. Darum war es auch verboten, die
Hand eines jungen Mädchens zu küssen. Seine Tugend hätte darunter
leiden können! Deshalb wurde der Handkuss in gewissen Kreisen
durch den Händedruck ersetzt. Man muss jedoch zugeben, dass der
Handkuss viel ritterlicher und ästhetischer ist, als ein Händedruck.
Natürlich soll die Dame ihre Hand reichen, nachdem sie ihren
Handschuh ausgezogen hat. Wenn es auch möglich ist, eine vom
Zeremonienhandschuh umhüllte Hand zu drük-ken, so ist es
unvorstellbar, eine behandschuhte Hand zu küssen. Die Gewohnheit,
den Handschuh einer Dame zurückzuschlagen und einen Kuss auf ihr
Handgelenk zu hauchen, ist mehr als unanständig. Will ein Herr eine
Damenhand küssen, so ergreift er sie zart, ohne sie zu drücken, und
nähert sie seinen Lippen, indem er sich gleichzeitig beugt, sodass sich
Hand und Lippen auf halbem Weg treffen. Je bedeutender die Dame
ist, desto tiefer beugt sich der Herr. — Der Handkuss ist kein leichtes
Unterfangen. Der Kuss darf nur wie ein Hauch die Hand der Dame
streifen. Er darf nicht hörbar sein.
In Deutschland ist der Handkuss auch unverheirateten Damen
gegenüber erlaubt. Man kann also die Regeln des Handkusses schon
den Kindern erklären, da sie nicht wissen müssen, ob eine Dame eine
verheiratete Frau oder ein Mädchen ist. Warum sollte man die Kinder
also nicht schon in jungen Jahren dazu anhalten, ihn zu üben?
Der Handkuss ist wie der Tanz oder wie die Aussprache einer
fremden Sprache: um erfolgreich zu sein, ist es gut, so jung wie
möglich anzu. fangen. Wird ein Handkuss ohne Eleganz ausgeführt, so
erinnert er an einen dressierten Hund oder Affen. Ist man unbegabt,
soll man anderen überlassen, ihr Talent zu zeigen und ganz einfach mit
einer leichten Verbeugung die Hand drücken. Eine zu tiefe
Verbeugung scheint unterwürfig. Im allgemeinen sind die
Verbeugungen bei uns immer zu tief, weshalb man uns im Ausland
allzu grosse Höflichkeit vorwirft.
Eine Dame darf ihre Hand niemals zur Höhe der Lippen des Herrn
erheben. In diesem Falle hätte er beinahe das Recht sie
herunterzudrücken und kräftig zu schütteln, wie die
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