Der Gute Ton 1950
Hand eines alten
Kameraden.
Eine Dame reicht ihre Hand zum Handkuss so, als ob es sich um
einen Händedruck handle. Sie darf die Ehrerbietung eines Handkusses
nicht herausfordern. Sie soll aber auch nicht widerstreben. Der Herr
dagegen soll nicht auf dem Handkuss bestehen.
Der Handkuss ist normalerweise auf der Strasse und in öffentlichen
Gebäuden verboten. Er verlangt einen gewissen intimen Rahmen.
Heute zögert man nicht, eine Damenhand in den Theatergängen oder
im Kaffeehaus zu küssen. Wer aber eine Damenhand auf der Strasse
küsst, kann noch als kühner Vorläufer betrachtet werden.
Der Handkuss des jungen Mädchens der älteren Dame gegenüber, ist
nur noch eine Erinnerung. Er ist nur noch in den Kreisen alter
baltendeutscher und österreichischer Familien üblich.
Das Hackenzusammenschlagen ist in allen Ländern der Welt nur
den militärischen Personen vorbehalten. Es ist natürlich, dass bei der
Begrüssung einer Dame das Hackenzusammenschlagen ohne
allzuviel Geräusch geschieht.
DER HUT.
Selbstverständlich nimmt ein Herr seinen Hut ab, sobald er eine
bekannte Dame sieht. Wenn er mit ihr spricht, behält er seinen Hut in
der Hand. Die Dame ist verpflichtet, den Herr sofort mit
liebenswürdigem Lächeln zu bitten, den Hut wieder aufzusetzen.
Die Zeiten sind vorüber, da die spanischen Ritter ihren schwarzen
Mantel mit eleganter Bewegung auf die Strasse warfen, damit die
Schöne ihre Füsse nicht an dem Staub beschmutze. Die Bewegung des
Hutschwenkens soll nicht an diese ritterliche Sitte erinnern.
DARF MAN SITZEN BLEIBEN?
Man sieht sehr häufig Damen, die in einem Salon oder Theater
aufstehen, um jemanden zu begrüssen. Wir erlauben uns, daran zu
erinnern, dass eine Dame oder ein junges Mädchen nur vor einem
Staatsoberhaupt aufsteht. Die Person, welche das Staatsoberhaupt
vertritt, hat dieselben Vorrechte. Man sieht es gern, dass zum Beispiel
ein Minister stehend begrüsst wird. Ein junges Mädchen sollte
aufstehen, wenn es eine ältere Dame begrüsst, selbst wenn dies nach
den Regeln der Höflichkeit nicht unbedingt nötig wäre.
Selbstverständlich sind die Pflichten einer Gastgeberin anders. Diese
kann — und sollte sogar — aufstehen, um ihre Gäste zu begrüssen,
denen sie etwas entgegengeht. Gleichzeitig aber muss sie sich bei
denen entschuldigen, die sie für einige Sekunden verlässt.
Ein Herr setzt sich niemals, ehe nicht alle Damen Platz genommen
haben. Ebenso wartet eine jüngere Dame bis sich die ältere Generation
gesetzt hat.
VII.
WENN MAN SICH NICHT TREFFEN KANN...
Heloise an Abelard:
Briefe leben, atmen warm und' sagen
Mutig, was das bange Herz gebeut.
Was die Lippen kaum zu stammeln wagen,
Das gestehn sie ohne Schüchternheit.
Gottfr. Aug. Bürger
DER BRIEFWECHSEL.
Die Wahl des Briefpapiers und der Besuchskarte ist wichtig! Wir
sprechen nur von dem Papier für den privaten und offiziellen Brief, da
dasi kaufmännische Schreiben eher den Reklamegesetzen als den
Höflichkeitsregeln untersteht. Es handelt sich hier vielleicht um
unseren persönlichen Geschmack, doch können wir für alle Fälle nur
die weisse Farbe für elegantes Briefpapier empfehlen. Es ist sehr heikel,
eine andere Farbe zu wählen. Man müsste dann beinahe für jede
Gelegenheit und jeden Empfänger eine andere Farbe nehmen. Die
meisten Damen und jungen Mädchen denken, die Papierfarbe sei ein
Widerschein ihrer Persönlichkeit.
Es gibt in einem Schreiben bestimmt andere enthüllende Elemente als
die Farbe, und man wird einen Brief, dessen Pastellpapier mehr
enthüllt als eine deutliche Aufschrift: »Persönlich abzugeben,
Liebesbrief« es täte, immer mit einem kleinen verständnisvollen
Lächeln einem Herrn überreichen. Das Papier soll auch nicht
parfümiert sein. Dies ist eine unnötige Reklame für Ihren Parfümladen
und eine Indiskretion. Warum sollte man einen Brief zukleben, wenn
der Umschlag soviel gesteht. Das ist keine Korrespondenz mehr, das ist
ein »offener Brief«. Der elegante Briefbogen in Deutschland enthält den
Vornamen und Familiennamen des Schreibers. Diese stehen oben links,
nach Möglichkeit graviert und nicht gedruckt. In anderen Ländern
schreibt man nur die Adresse — nicht den Namen. Beide Lösungen
sind unlogisch, denn gewöhnlich braucht man Name und Adresse des
Briefschreibers, da das Gekritzel, das die Unterschrift darstellen soll,
schlecht dazu angetan ist, den Antwortbrief richtig zu
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