Der Gute Ton 1950
soll weder heiss noch kalt
sein, sondern lauwarm und einige Tropfen Zitronensaft enthalten. Die
Gäste tauchen nicht ihre Hände in die Wasserschale, als warteten sie
seit 7 Tagen auf ein Bad, sondern nur die Fingerspitzen und trocknen
sie nachher an ihrer Serviette.
DER ZAHNSTOCHER.
Es galt einmal als elegant, wenn man zum Schluss des Mahles mit
den Wasserschalen auch die Zahnstocher brachte. Man kann den
Gebrauch der Wasserschale entschuldigen, den Gebrauch des
Zahnstochers aber nie. Man soll ihn auch nicht mit der Zunge ersetzen.
Es ist Vogel Strauss Politik zu glauben, nur weil der Mund geschlossen
ist, dass niemand bemerkt, wie man mit der Zunge die Zähne zu
säubern versucht.
DAS TASCHENTUCH.
Wenn man Schnupfen hat, sollte man lieber nicht in Gesellschaft
gehen. Ein Schnupfen hat noch nie eine Dame verschönt. Er hat auch
noch nie einen Mann geistreicher gemacht. Der ideale Ort für einen
Schnupfenkranken ist nicht ein Esszimmer sondern ein warmes Bett.
Möglicherweise haben Sie aber Ihre Anwesenheit versprochen und
Ihre Gastgeber hätten vielleicht Ihre Entschuldigung als nicht
stichhaltig angesehen. Wenn Sie also unbedingt hingehen und sich bei
Tisch die Nase putzen müssen, muss nicht der ganze Tisch auf Sie
aufmerksam werden. Sie werden mit einer »Posaune von Jericho« nicht
allgemeines Mitleid erregen. Putzen Sie lieber die Nase vorsichtig ab,
als dass Sie sich schnäuzen. Es gibt Menschen, die glauben diskret zu
sein, wenn sie beim Naseputzen den Kopf wegwenden. Sie sind
ungefähr eben so gewandt und so gut erzogen wie jene, die die Hand
vor den Mund halten, um ihrem Nachbarn ein Geheimnis
anzuvertrauen, das niemand anderes hören soll.
DIE TRINKSPRÜCHE.
Junge Leute werden über diese Sitte lachen, aber früher oder später
werden sie sie doch begreifen. Sie haben noch Zeit, denn Trinksprüche
sind das Vorrecht des reiferen Alters. Wenn das Mahl zu Ende ist, und
man die Champagnergläser gefüllt hat, ist es der richtige Augenblick,
um einen Trinkspruch auszubringen. Er soll einfach und kurz sein, und
soll nicht in eine lange Rede ausarten. Der Hausherr wird sein Glas auf
das Wohl des wichtigsten Gastes am Tisch erheben; der Gast, der
geehrt werden soll, bleibt sitzen, alle anderen folgen dem Beispiel des
Hausherrn und stehen auf.
MAN SOLL DIE GLÄSER
nicht mit Gewalt aneinanderstossen. Ein Trinkspruch soll keine
Ueberschwemmung verursachen. Herren leeren das Glas in einem
Zug. Man berücksichtigt bei Damen, dass sie wenig Alkohol vertragen,
deshalb brauchen sie ihre Lippen nur anzufeuchten. Personen, die zu
entfernt von Ihnen sind, um mit Ihnen anzustossen, lächeln Sie zu und
heben Ihr Glas dabei. Wenn es sich um den Geburtstag oder eine
Erfolgsfeier des Gastgebers handelt, wird er nicht selbst den
Trinkspruch ausbringen, er wird dies vielmehr dem wichtigsten Gast
überlassen. Dieser wird sein Glas erheben und auf das Wohl des
Gastgebers trinken, ohne natürlich die Hausfrau zu vergessen. Ein
Trinkspruch kann nicht unbeantwortet bleiben, aber eine Dame
antwortet nicht. Ein Trinkspruch muss mit einem Trinkspruch
beanwor-tet werden, und es wäre für eine Dame sehr unelegant, ihr
Glas in einem Zug zu leeren. Solche Kühnheiten soll man Damen
überlassen, die schneidig genug sind und die Rolle des Hausherrn
spielen. Da ein Toast beantwortet werden soll, wird der Mann, der
Sohn oder der Vater der Dame auf die ein Toast ausgebracht wurde,
für sie antworten. Er wird sein Glas heben, entweder auf das Wohl des
Gastes der das »Feuer eröffnet« hat oder auf das Wohl aller
anwesenden Gäste. Die zweite Lösung ist die glücklichste. Sie wird
niemanden verletzen. Wenn man auf einen Toast antwortet, schickt es
sich nicht, sich an eine Person zu wenden, die nicht den ersten
Trinkspruch ausgebracht hat. Denn da der Toast eine Antwort
verlangt, wäre ein dritter Trinkspruch notwendig. Der zweite Toast
kann nur dem ersten antworten, dann muss jemand dem zweiten
entgegnen. Diese Kette von Trinksprüchen kann so lange nicht
unterbrochen werden, solange noch ein »gesunder Kämpfer« übrig ist.
Man behauptet, dass die Engländer eine Reihe von Toasten ausbringen,
wenn sie mehr trinken wollen, als es sich für einen Gentleman schickt.
Man kann folgende Trinksprüche benutzen:
Für eine Heirat: »Ich erhebe mein Glas auf das Wohl und Glück des
jungen Paares.« Das Ehepaar antwortet nicht selbst, die Eltern tun es an
ihrer Stelle.
Für eine
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