Der Gute Ton 1950
sollen. Es ist ganz einfach: man
dankt den Gastgebern für den entzückenden Abend, fügt ein paar
Komplimente hinzu für die begabte Köchin — aber nur wenn die
Hausfrau selbst gekocht hat, und man sie gut kennt, um sich dies
erlauben zu können — und bedauert, leider aufbrechen zu müssen.
Auch die Gastgeber bedauern und danken ihren Gästen für die Freude,
die sie ihnen mit ihrer Anwesenheit bereitet haben. Man kann sich für
eine andere Gelegenheit verabreden, aber die Gastgeber sollten ihre
Gäste nicht drängen, länger da zu bleiben. Die Gäste könnten ja, wenn
sie Lust dazu haben, anschliessend noch in ein Nachtlokal oder in ein
Restaurant gehen, um weiter zu feiern, ohne dass sie es ihren
Gastgebern erzählen müssen.
Die Gastgeber schlagen ihren Gästen vor, sie nach Hause zu bringen,
wenn sie einen Wagen besitzen. Aber sie dürfen nicht darauf bestehen.
Es wäre ungeschickt, wenn sich ein Gast diese Gelegenheit entgehen
Hesse. Vielleicht hat man ihm als Kind gesagt, er dürfe nie ein Bonbon
annehmen, wenn es nur einmal angeboten wird — und er wartet nun,
dass seine Gastgeber ihren Vorschlag mehrmals wiederholen!
DER »VERDAUUNGSBESUCH«
UND DER »VERDAUUNGSSPAZIERGANG«.
Der »Verdauungsbesuch« ist, Gott sei Dank, eine verstorbene Sitte.
Man kann seine Anerkennung und seine gute Erziehung anders
beweisen, als wenn man drei Tage nach der Gesellschaft um zwei Uhr
nachmittags den Gastgeber besucht, um zwanzig Minuten lang
abgedroschene Redensarten über den Regen und das schöne Wetter
auszutauschen. Die Aussicht auf einen solchen »Verdauungsbesuch«
könnte nur entmutigen, je wieder eine Einladung anzunehmen oder zu
geben.
Auch den »Verdauungsspaziergang« am Morgen nach der
Einladung hat das Schicksal des »Verdauungsbesuches« ereilt.
DAS ESSEN UM MITTERNACHT.
Man reicht hierzu fast nur kalte Platten. Die Gäste können während
des Essens stehen, aber sie werden Sitzgelegenheiten vorziehen,
umsomehr wenn solch eine Stärkung im Verlaufe eines Balles geboten
wird.
Man bereitet diesen Mittemachtsimbiss genau wie einen
Hochzeitsimbiss vor. Wir sprechen in diesen Kapiteln noch ausführlich
darüber.
LUNCH.
Der Lunch findet in England zwischen 5 und 6 Uhr nachmittags statt.
Er ist die Hauptmahlzeit des Tages. Auf dem Kontinent haben wir
dieses Wort für einen reichlichen Nachmittagskaffee übernommen.
Lunch kann bei einem Nachmittagstanz serviert werden. Bei einer
Heirat bedeutet Lunch etwas anderes, wir sprechen darüber später
ausführlich.
Die Amerikaner haben den Ausdruck Lunch auch übernommen,
bezeichnen damit aber ein grösseres, warmes Frühstück im Laufe des
Vormittags.
KALTES BÜFFET.
Die Menufolge ist ungefähr die gleiche wie bei einem Essen um
Mitternacht, aber man nimmt es im Stehen ein. Man bereitet es für den
späten Abend oder die Nacht vor.
DER NACHMITTAGSTEE.
Diese Sitte kommt von England und wir wollen uns darüber nicht
beschweren, da der Tee ausgezeichnet für die Nerven ist. Es gibt
Menschen, für die der Tee nur ein Heilkraut unter vielen anderen ist,
das sie nicht trinken können. Sie werden natürlich bei einer Tee-
Einladung der Gastgeberin ruhig sagen, dass sie und das englische
Getränk sich schlecht vertragen. Eine Hausfrau rechnet jedenfalls
immer damit, dass einer ihrer Gäste ein Feind des Tees ist, und obwohl
man sich grundsätzlich um 5 Uhr trifft um eine Tasse Tee zu trinken,
kann man auch als 5-Uhr-Tee Schokolade oder Milchkaffee anbieten.
Wie wir schon bemerkten, ist die Pünktlichkeit für einen
Nachmittagstee nicht so wichtig wie für ein Essen: eine Stunde
Verspätung ist erlaubt. Damen, die ein reges gesellschaftliches Leben
führen, können auf diese Weise an einem Tag mehrere Tee-
Einladungen mit ihrem Besuch beehren; sie bleiben natürlich überall
nur kurze Zeit, damit jeder weiss, wie überlastet sie mit
gesellschaftlichen Verpflichtungen sind!
WIE BIETET MAN EINE TASSE TEE AN?
Es wäre nicht richtig, Gäste um ihre Hilfe beim Servieren bei Tisch
zu bitten. Aber bei einem Tee ist dies nicht der Fall. Wenn die Dame
des Hauses keine erwachsene Tochter hat, wird sie ein oder zwei junge
Damen unter den Gästen zu Hilfe nehmen. Auch ein junger Mann,
wenn er elegante Manieren hat, kann die Rolle der Haustochter spielen.
Die Gastgeberin füllt die Tassen. Wenn es die Raumverhältnisse
erlauben, werden die Gäste nicht an einem Tisch, sondern an mehreren
kleinen Tischchen oder
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