Der Gute Ton 1950
neben dem Kamin sitzen. Vor ungefähr
zwanzig Jahren war man weniger um die Bequemlichkeit des Gastes
besorgt. Damals kannte man die kleinen Tische nicht. Tasse und
Kuchenteller muss-ten — jedes in einer Hand — balanciert werden.
Wenn dann der Gast gerade seinen Schoss als Tisch eingerichtet hatte,
nahte sich die Hausfrau, um ihm einen Neu-Ankommenden
vorzustellen. Das war natürlich eine schwierige Situation! Heute haben
es Gäste bei einer Tee-Einladung besser. Damen werden zuerst bedient,
zu allererst die älteren Damen. Man fragt jeden Gast, ob er den Tee mit
Milch, mit Zitrone, Naturel oder mit Zucker mag. Man nimmt nicht zu
viele Tassen auf einmal und reicht den Zucker nachher. Ein Teesalon
soll keine Volksküche sein!
Die Gäste werden es als besonders aufmerksam empfinden, wenn
sich die Hausfrau an ihren Geschmack erinnert und ihre jungen
Gehilfen davon unterrichtet, wie der einzelne Gast den Tee mag.
Es gibt eine berühmte amerikanische Operette, die den Zauber der
Teestunde zu zweien besingt. Aber auch eine weniger intime Tee-
Einladung gibt einer jungen Dame Gelegenheit, ihren Charme und ihr
Talent als künftige Hausfrau zu zeigen. Sie soll nicht denken, dass sie
eine lästige Arbeit oder sogar »Frohndienste« leistet, es ist für sie eine
Gelegenheit in einem günstigen Licht zu erscheinen.
Ein Tee ist normalerweise gegen 7 Uhr abends zu Ende, man wartet
nicht, bis man zum Abendessen eingeladen wird.
COCKTAIL: ZWISCHEN 6 UND 9 UHR.
Es gibt Hausfrauen, denen ein grosses Essen Sorge bereitet, die aber
trotzdem mehr als nur einen Tee anbieten wollen. Man hat eine
Ernennung, irgend einen Erfolg zu feiern, was soll man tun? Man gibt
ein sogenanntes »Zwischen 6 und 9«, die verbreitetste Empfangsart in
Amerika, die dort Cocktail-Party heisst, nach den Getränken, die
diesen Zusammenkünften den Namen geben. Dieses »Zwischen 6 und
9« hat dem »Tee« gegenüber den Vorteil zu späterer Stunde
stattzufinden und daher nicht nur für Nichtstuer reserviert zu sein. Um
diese Stunde haben im allgemeinen auch Berufstätige Zeit. Man kann
auch Tee anbieten, aber gewöhnlich trinkt man bei diesen Einladungen
alkoholische Getränke. Manche reichen auch zum »Tee« Wein und
Alkohol. Aber das ist unserer Meinung nach nicht richtig. Ein richtiger
Nachmittagstee ist, zum Unterschied zu einem »Zwischen 6 und 9«,
eine Angelegenheit der Damen. Bei einem »Zwischen 6 und 9« sind
Herren stärker vertreten, es wird viel getrunken.
Was bietet man an Getränken? Gute Weissweine und Südweine.
Likör wird nicht gereicht, da er erst nach einem Essen oder am Ende
eines Empfangs angebracht ist. Sekt ist natürlich nicht verboten! Im
Sommer empfiehlt es sich Bier, Eis und Fruchtsäfte vorzusehen; man
darf auch die Cocktails nicht vergessen, man sollte sie jedoch
vorsichtshalber nicht zu stark machen. Die Gäste dürfen wählen. Es
bedient nicht das Personal, sondern Freunde und Freundinnen der
Gastgeber. Man steht oder sitzt, wie es einem gefällt. Die Möbel
werden für diesen Empfang möglichst beiseitegeschoben, weil diese
Art von Geselligkeit sich in weiterem Rahmen vollzieht. Gerade, dass
man hierzu mehr Gäste einladen kann als bei einem Abendessen, ist
eine der grössten Vorzüge einer »Cocktail-Party«.
Zum Cocktail muss man ein grosses Regiment an Gläsern vorsehen,
da man oft den Standort wechselt, ohne das leere Glas mitzunehmen.
Man sollte bei einem »Zwischen 6 und 9« daran denken, dass mancher
seit Mittag nichts gegessen hat. Man reicht nicht nur Oliven, um den
Durst anzuregen, sondern auch Sandwiches und Kleingebäck. Sie sind
bequem zu essen und vermeiden, dass die Gäste auf nüchternen
Magen trinken. Zu Südwein reicht man auch Pommes-Chips,
hauchdünne, goldgelb und knusperig gebratene, mit Salz bestreute
Kartoffel-scheibchen. Pommes-Chips werden mit den Fingern
gegessen.
DIE SURPRISE-PARTY: DER ÜBERRUMPELUNGSBESUCH.
Diese Sitte kommt aus Uebersee und hat die junge Generation nach
dem ersten Weltkrieg begeistert. Sie war die grosse Mode zur Zeit des
Surrealismus und des Expressionismus. Es versammelte sich eine
Gruppe junger Menschen, die beschlossen, nicht vor Morgengrauen
schlafen zu gehen. Es wurde etwas zum Essen und viel zum Trinken
eingekauft. Und nun wurde ein Opfer gewählt! Es musste eine
Wohnung besitzen, in der man möglichst ungestört war, eine
»sturmfreie Bude«. War sie nicht sturmfrei, war es eigentlich noch
schöner, da
Weitere Kostenlose Bücher