Der Gute Ton 1950
das Fest am nächsten Morgen in peinlichen
Unterhaltungen zwischen dem »Ueberrumpelten« und seinem
Nachbarn oder seiner Wirtin gipfelte. Man überfiel sein Opfer in der
stillen Hoffnung, es schon im Bett zu finden. Welch ein Vergnügen den
Aerm-sten zu wecken, ihn aus dem Bett zu zerren und ihm die
Verheerung seiner Wohnung in Aussicht zu stellen. Dem
Ueberrumpelten blieb nichts anderes übrig, als alle Foltern zu
erdulden. Schlechte Laune hätte die Freude der Urheber des Komplotts
nur noch gesteigert. Man machte soviel Lärm wie möglich, damit die
Nachbarn sofort wussten, dass man ein Fest feierte. Und natürlich
machte man umsomehr Lärm als es ja nicht die eigenen, sondern die
Nachbarn des Opfers waren. Mit Wonne dachten die »Gäste« schon an
die »Ueberraschungen« des kommenden Morgens. Wenn eine
»Surprise-party« solche Erfolge hatte, konnte der Abend als gelungen
bezeichnet werden. Diese Ueberraschungs-effekte sind heute überholt.
Die Sitte, Gesellschaften zu »organisieren« hat sich bei jungen Leuten
erhalten, um sich billig zu amüsieren: denn eine Nacht, die nur ein
oder zwei Flaschen Wein kostet und ein paar Kuchen ist für den
Einzelnen billig. Die grosse Frage ist der Raum. Man wählt mit
Vorliebe ein junges Mädchen oder einen jungen Mann, deren Eltern
verreist sind und die naiv genug sind, ein paar Freunden die Wohnung
zur Verfügung zu stellen. Dieser »Gastgeber« sollte möglichst einen
Ueberrumpelungsbesuch noch nicht erlebt haben, denn ein zweites
Mal gibt wohl niemand sein Einverständnis. Man hatte zwar
versprochen, sich anständig zu benehmen.
Ein Freund hat ein Grammophon geliehen, aber man tanzt in solchen
Fällen nicht nach den Klängen des Grammophons. Junge Leute, die
sich sonst vielleicht tadellos benehmen, entpuppen sich in dieser
hemmungslosen Atmosphäre beinahe als un-
möglich. Niemand wird nachher sagen können, wer z. B. angefangen
hat, aus den Sesseln Kleinholz zu machen: Wir haben das Beispiel einer
»Surpriseparty« sehr junger Leute gewählt, aber man soll nicht
glauben, dass der Unterschied zu einer »Sur-prise-party« reiferer
Menschen sehr gross wäre. Solche Orgien sind keine gesellschaftliche
Angelegenheit. Man sollte trotz ihrer Billigkeit auf sie verzichten.
XI.
GASTFREUNDSCHAFT
Wer Gastfreundschaft übt, bewirtet gleichsam Gott selbst.
Talmud
Es gibt auch heute Menschen, die in der glücklichen Lage sind, Sie
für einige Tage in ihr Landhäuschen oder in ihre Stadtwohnung
einladen zu können, — und es auch tun. Nehmen Sie diese Einladung
lieber nicht ernst, wenn sie im Laufe einer Unterhaltung gemacht
wurde, in der Sie und Ihr Gesprächspartner sich mehr oder weniger
sympathisch waren und sich gegenseitig mehr oder weniger
»vorgemacht« haben. Warten Sie, bis die Einladung schriftlich
wiederholt wird und versichern Sie sich auch in diesem Fall, dass Ihre
Freunde nicht mehr versprechen als sie in Wirklichkeit halten.
Vielleicht wurde die Einladung nur ausgesprochen um den Brief zu
füllen, den man Ihnen schreiben musste.
Es, ist nicht sehr elegant, sich selbst einzuladen, indem man
Freunden ankündigt, dass sie das Glück haben werden, uns während
der Ferien in ihrem Dorf zu sehen und indem man gleichzeitig bittet,
ein Zimmer im besten Hotel zu besorgen. Natürlich weiss man, dass in
dem Ort gar kein Hotel ist; man hofft ganz einfach auf eine Einladung
zu einem Ferienaufenthalt. In diesem Fall kann der »Gastgeber« ruhig
antworten, dass in dem Dorf kein Hotel existiert, ohne den weiteren
Erwartungen des unverfrorenen Freundes zu entsprechen.
Wenn Sie glauben, dass Ihr Freund aufrichtig ist, wenn er zu Ihnen
sagt: »Mein Lieber, wir werden wirklich beleidigt sein, wenn Sie in den
Ferien anderswo als bei uns wohnen«, dann sollten Sie solch geselligen
Freunden das Vergnügen Ihrer Gegenwart ruhig machen. Es gibt
Menschen, die sich alleine langweilen und es gibt Paare, denen die
Anwesenheit eines Dritten eine Einsamkeit zu Zweien erspart, die sie
nicht mehr schätzen.
DIE PFLICHTEN DER GASTGEBER.
Die Gastgeber sollen sich bemühen, ihren Gästen ein Heim
anzubieten, das ihnen die grösstmögliche Ruhe und Gemütlichkeit
gibt. Der Gast soll alles finden, was er zu Hause hatte: man wird sich
ihm gegenüber so benehmen, als sei er ohne Gepäck angekommen. Er
wird in dem Schrank Nachtwäsche, Handtücher, Seife, eine neue
Zahnbürste und Pantoffel finden. Es ist die Pflicht des Gastes, alles
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