Der Gute Ton 1950
Freunde werden entweder von den jungen Leuten selbst
unterrichtet. Sie müssen sich taktvoll benehmen, wenn sie später mit
dem Ehepaar befreundet bleiben wollen. Die Regeln des guten Tones
verbieten einem jungen Mann, schlecht über eine Dame zu sprechen,
auch wenn er gut unterrichtet ist. Man macht auch nicht seinen Freund
darauf aufmerksam, dass Fräulein X. zur Zeit versucht, nach vielen
andern, ihn zu einer Ehe zu verführen. Es gibt imrner eingefleischte
Junggesellen und unglückliche Ehegatten, die überzeugt sind, dass sie
ihrem Freunde einen Dienst erweisen, wenn sie ihn warnen. Es ist
klüger, sie schweigen und warten, wie sich die S,ache entwickelt. Wenn
eine Trennung kommt, kann man immer noch erklären, dass das
Mädchen gar nicht »zu ihm passte«. Freunde sollen nicht vergessen,
dass Ratschläge nie eine Heirat verhindern; wenn es zu einer Ehe
kommt, wird die junge Frau früher oder später die »Warnungen« der
Freunde erfahren, und das kann nur peinlich für beide Teile sein. Man
sollte in Liebesangelegenheiten neutral bleiben, weder für noch
dagegen sein. Wenn Sie die Rolle eines Ehestifters spielen, dürfen Sie
nie mit Dankbarkeit rechnen. Wenn man eine Ehe zusammengebracht
hat, ist es besser, sich etwas abseits zu halten, gerade als hätte man eine
Bombe irgendwo hingelegt. Man soll nicht zu nahe gehen, um die
Wirkung zu beobachten! Das ist gefährlich! Dieselben Regeln des
Nichteinmischens gelten für Freunde und Freundinnen des jungen
Mädchens. Es ist unfair, die Lösung der Verlobung unserer besten
Freundin zu befürworten, um dann den Verlassenen zu
»beschlagnahmen«.
DAS VERLOBUNGSESSEN.
Man sollte es nur in einem kleinen Kreise feiern und keine
Bekannten einladen. Es kann immer noch zu einer Entlobung kommen,
und je weniger lärmend die Verlobung war, desto unbemerkter wird
der kleine »Unfall« sein. Aus dem gleichen Grund sind unserer
Meinung nach Verlobungsanzeigen, die man übrigens nur in
Deutschland kennt, und die Ankündigung in den Zeitungen unklug.
In fürstlichen Familien wurde dieses Ereignis früher mit allem Prunk
gefeiert. Die Heirat der Kinder, die man oft schon in der Wiege
einander versprach, war politisch wichtig, und man musste sie so
öffentlich wie möglich ankündigen, denn es bedeutete eine Allianz.
Heutzutage ist die Verlobung nur noch eine persönliche
Angelegenheit. Man kündet nicht mehr die bevorstehende Verlobung
an, sondern die Absicht, dass man heiraten will und sich schon verlobt
hat. Man schreibt es Verwandten und Freunden. Beim
Verlobungsessen sitzen die Verlobten nebeneinander, ihnen gegenüber
der Vater des Mädchens mit ihrer Mutter, eingerahmt von dem Vater
und der Mutter der Verlobten. Bei der Nachspeise erhebt sich der
Vater, um die Verlobung seiner Tochter anzukündigen; nach der
Ansprache steckt der Verlobte den Ring an die linke Hand seiner Braut
(in manchen Gegenden, wird der Verlobungsring rechts und der
Ehering links getragen). Der junge »Bräutigam« steckt sich selbst
seinen Ring an. Dann folgt, wie immer in Augenblicken der Rührung,
ein Trinkspruch. Man hebt sein Glas auf das Wohl des jungen Paares.
Der erste Toast wird durch den Vater des Mädchens ausgesprochen,
der zweite durch den Vater des jungen Mannes. Von diesem
Augenblick anbeginnt.
DIE VERLOBUNGSZEIT.
Es gibt Leute, die ein halbes Leben lang verlobt bleiben. Das ist
unserer Meinung nach zu lange. Es gibt andere, die heiraten, ohne je
verlobt gewesen zu sein, das ist vielleicht zu kurz. Sie stehen auf dem
amerikanischen Standpunkt, dass man sich erst kennen lernen kann,
wenn das gemeinsame Leben angefangen hat, und es besser ist, sich
sofort ins Wasser zu stürzen; »je schneller man heiratet, desto schneller
kann man sich scheiden lassen«. Das ist ein seltsamer Standpunkt. Wir
teilen ihn nicht. Wir denken im Gegenteil, dass eine Verlobungszeit
unentbehrlich ist, um sich allmählich kennen zu lernen. Man sollte
allerdings der Verlobung nicht die Bedeutung geben, die man ihr in
nordischen Ländern zuschreibt. Man kann dort, so hört man, in den
Zeitungen folgende Anzeige lesen: »Wohnung frei für Verlobte mit
Kindern«. Selbst ohne so weit zu gehen, erlaubt uns eine
Verlobungszeit von 3 bis 4 Monaten, die Eigenschaften und auch die
Fehler des anderen zu entdecken. Es ist vielleicht wichtiger, die Fehler
kennen zu lernen, und sich zu prüfen, ob man sie ertragen kann. Es ist
gefährlich, sich einzubilden, dass
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