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Der Gute Ton 1950

Der Gute Ton 1950

Titel: Der Gute Ton 1950 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans H. Wiese
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sie verbesserlich sind. Eine
    Verlobung von 1900 konnte den Verlobten den Charakter ihres
    Partners in keiner Weise zeigen. Der Verlobte schickte, so oft es sein
    Vermögen erlaubte, rosa oder weisse Blumen in das Haus seiner Braut.
    Eine andere Farbe wäre unanständig gewesen. Die Anständigkeit
    forderte grösste Zurückhaltung bei einem Zusammentreffen; es war
    den Verlobten verboten, auf dem gleichen Sofa zu sitzen, bei
    gemeinsamen Spaziergängen waren sie immer von einer
    Anstandsdame begleitet. Man versuchte, den Schein zu erwecken, dass
    die Verlobte Charme und nur Tugenden besass. Der Verlobte sollte bis
    zur Heirat warten, um zu entdecken, dass alle diese Eigenschaften nur
    Illusionen waren. Er konnte nicht eine S,ekunde ohne Zeugen in der
    Gesellschaft seiner Verlobten bleiben, als wäre es in dieser kurzen Zeit
    möglich gewesen, Dinge zu tun, die die Moral ausserhalb der Ehe
    verbietet. Es war natürlich auch viel Taktik bei diesen strengen
    Vorschriften, damit der junge Mann das Hochzeitsdatum so früh wie
    möglich festsetzte, um endlich einmal mit seiner Herzensdame in Ruhe
    sprechen zu können. Für den Mann um 1900 konnte die
    Verlobungszeit einen Beruf ersetzen. Wenn seine Braut reich war,
    sicherten ihm zahlreiche Einladungen ins Haus seiner Braut und der
    Verwandten seinen Lebensunterhalt.
    Man kann viele dieser alten Vorurteile ablehnen, aber einige unter
    ihnen sind eben doch keine Vorurteile. Es ist durchaus berechtigt, dass
    sich der Verlobte in dem Haus seiner Braut nicht wie in seinem eigenen
    benimmt und sich dort niederlässt. Wenn er nicht in der gleichen Stadt
    wie seine Braut wohnt, sollte er bei einem Besuch nicht in ihrer Familie,
    sondern in einem Hotel wohnen.
    Die Anstandsdame ist heute nur noch eine Erinnerung. Die jungen
    Verlobten treffen sich, wo es ihnen gefällt oder wann und wo es ihnen
    möglich ist. Wenn beide arbeiten, werden sie froh sein, wenn sie sich
    fünf Minuten zwischen zwei Autobussen sehen können. Eine junge
    Dame von heute gefährdet nicht mehr ihren Ruf, wenn man sie auf der
    Strasse mit einem Herrn sieht, den sie vielleicht nachher nicht heiratet.
    Auch wenn wir nicht übertrieben engherzig sind, finden wir es doch
    nicht schicklich, alle Leute auf der Strasse zum Zeugen unserer
    Leidenschaft zu machen. Es ist nicht unbedingt notwendig, sich in
    einer Türecke zu küssen und dabei einen Weltdauerrekord
    aufzustellen. Wenn Verlobte irgendwo eingeladen sind, sollten sie sich
    nicht abseits aller anderen Sterblichen halten und stundenlang Hand in
    Hand, ineinander versunken, dasitzen. Man wird sich nur lustig über
    sie machen, wenn sie sich schnell küssen, sobald man sich nur für einen
    Augenblick umdreht. Unsere Zeit glaubt nicht mehr an diese
    Märchenliebe, an diese verzehrende Leidenschaft, an der man sterben
    kann. Man wird höchstens eine Wette abschliessen, wie lange die Liebe
    anhält. Solch leidenschaftliche Glückseligkeiten dauern nicht ewig. Sie
    erfreuen nur die anderen, ohne ihren Neid zu erregen.
    DIE ENTLOBUNG.
    Eine Entlobung kann immer eintreten. Man sagt dann, um sich zu
    trösten, »besser vorher als nachher«. Entlobte benehmen sich, als hätte
    es niemals ein Heiratsversprechen gegeben. Man wird nicht alles
    wütend verbrennen, was man bis jetzt verehrte, und Freunde und
    Freundinnen vor dem »Verräter« warnen. Das wäre geschmacklos. Es
    wäre ebenso lächerlich eine Werthersehnsucht zu zeigen, die nicht
    lange andauern wird, und die heute ohne richtigen Selbstmord
    niemand mehr ernst nimmt. Unsere materialistische Zeit denkt, dass es
    sich hier um einen Kranken handelt. Enthalten wir uns darum lieber
    solch übertriebener Aeusserungen!
    DIE GESCHENKE.
    Es gab eine Zeit, in der die Verlobten nur Blumen, gute Bücher und
    Süssigkeiten schenken durften. Eine moderne Braut nimmt auch
    praktische Geschenke an, aber ein Verlobter kann sich nicht erlauben
    Geschenke zu machen, die er normalerweise später seiner Frau machen
    wird, wie Wäsche oder Kleider. Er darf den Dingen nicht vorauseilen.
    Es ist der jungen Verlobten erlaubt, dem Bräutigam etwas zu schenken,
    aber sie wird keine Kravatte anbieten, die wahrscheinlich nicht seinem
    Geschmack entspricht. Man kann auch nicht gut von ihm verlangen,
    dass er sich schon vor der Hochzeit zu dem Geschmack seiner Braut
    bekehrt. Sie soll ihn nicht im voraus ahnen lassen, was eine Heirat für
    ihn bedeutet.
    In Frankreich tragen die Verlobten keinen glatten Ehereif; das erste
    Geschenk des

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