Der Gute Ton 1950
mehr sehr viele prunkvolle
Hochzeiten; man hat auf dieses grosse Fest verzichtet, das durch
sensationelles Gepräge die Bevölkerung verblüffen sollte. Es ist nicht
mehr nötig, dass man ein halbes Jahrhundert später noch mit Scheu
über die Zeremonie spricht. Es gibt heute auch keine Familien mehr,
die mit Hypotheken die Kosten einer Hochzeit bezahlen. Nur reiche
Familien könnten sich heute erlauben, so wie es vor dreissig Jahren
Sitte war, ganze Städte oder Dörfer einzuladen. Doch selbst der
Reichtum rechtfertigt heute solche Paraden nicht mehr.
Ein weisses Kleid mit einem Myrtenkranz passt nur zu einem ganz
jungen Mädchen, man wird lächeln, wenn ein solches Kleid von einem
»späten Mädchen« getragen wird. Es ist überflüssig, über das
Hochzeitskleid viel zu sagen, es ist der Höhepunkt einer jeden
Modeschau und wird als letztes Modell gezeigt; sein Preis entspricht
gewöhnlich auch dem Ehrenplatz, den man ihm eingeräumt hat. Man
neigt heute zum einfachen Hochzeitskleid, man hat auf diese
Schleppen verzichtet, die vom Kirchentor bis zum Altar gingen. Ein
halbes Dutzend Brautführer und Brautjungfern waren nötig, um sie zu
tragen. Wenn sich die Feier in intimem Kreis vollzieht, trägt die Braut
keinen Schmuck. Gewöhnlich wird sich eine junge Braut in weiss
kleiden, Myrthen und Orangen sind das Symbol der Reinheit. Sie
schmücken den Brautkranz oder sind am Mieder befestigt. Wenn es
sich um eine einfache Hochzeit handelt, kann die Braut sich in rosa
oder hellblau kleiden. Diese Kleider sind kürzer und ohne Schleppe.
Für eine nicht mehr ganz junge Frau wählt man rosa oder hellblau als
Farbe des Hochzeitskleides, wenn man nicht vorzieht, in einem
eleganten Kostümkleid sich trauen zu lassen.
Die Kleidung des Bräutigams entspricht der der Braut. Es geht nicht
gut, dass er im Strassenanzug erscheint, wenn die Braut ein
Hochzeitskleid trägt. Vielfach wird der Smoking als Hochzeitsanzug
getragen, aber dies ist leider nicht richtig, denn der Smoking ist ein
Abendanzug. Man versteht wohl, dass ihn viele Herren dem Frack
vorziehen: man hat eine viel grössere Verwendung für den Smoking,
und der Frack ist zur Zeit ein wenig in Ungnade gefallen, ausserdem
ist er viel teurer als ein Smoking. Der Frack als Hochzeitsanzug ist
ebenfalls umstritten, da manche Leute, nicht ganz zu Unrecht,
behaupten, dass der Frack für den Abend reserviert sein sollte, und
man nicht um zehn oder elf Uhr morgens im Frack auf einer Hochzeit
erscheinen kann. Dieser Einwand ist für den Frack so stichhaltig wie
für den Smoking. Der Frack war die männliche Bekleidung bei vielen
prunkvollen Hochzeiten. Wenn man sittenstreng ist, wird der
Bräutigam den klassischen Zeremonieanzug wählen, das heisst den
Cut mit schwarz-weiss gestreifter Hose und grauer Weste, schwarzen
Chevreau-Schuhen mit grauen Gamaschen, grauen
Wildlederhandschuhen und Zylinder. Man trägt zum Cut einen
Stehkragen; es macht sich aber eine Tendenz bemerkbar, ihn durch
einen normalen gestärkten Kragen zu ersetzen. Man trägt zum
Stehkragen ein Plastron und eine normale Krawatte zum gestärkten
Kragen.
Wir erinnern daran, dass die Frackweste weiss sein muss (nur Kellner
tragen eine schwarze Weste zum Frack). Der Stehkragen ist
vorgeschrieben, ebenso das Vorhemd, das gestärkt und mit Perlen oder
Diamantknöpfen geschlossen wird. Dazu trägt man eine weisse
Schmetterlingskravatte; es ist wohl unnötig zu erwähnen, dass es keine
dieser fertigen »mechanischen« Kravatten sein darf. Man trägt zum
Frack wie zum Smoking schwarze Lackschuhe oder Pumps. Die
Lederhandschuhe sind aus weissem Schwedischleder. Sobald man
die Kirche betritt, werden die Handschuhe ausgezogen. Dies ist eine
Ausnahme, da man Zeremoniehandschuhe nie auszieht, es sei denn,
man isst oder reicht einer Dame die Hand. Die Bekleidung des
Bräutigams ist sehr wichtig, da sie als Vorbild für die anderen Herren
der Hochzeitsgesellschaft gilt. Nur Militär darf in Uniform erscheinen.
Auf der Einladung gibt man die von den Herren zu wählende Kleidung
an, damit sie ihren Schneider oder den Anzugverleiher rechtzeitig
besuchen.
Die Kinder, die die Schleppe halten, tragen Stilkleider. Man wählt sie
so jung wie möglich, aber doch aufgeweckt genug, damit sie ihre Rolle
erfüllen können. Das Hochzeitsgefolge beschränkt sich auf die Eltern
der beiden jungen Leute, die Trauzeugen, die Brautjungfern und die
Brautführer. Wir müssen nicht
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