Der Gute Ton 1950
Kunstgegenstände zu
schenken. Für einen Lehrer gibt es nur ein Geschenk und das ist das
Buch. Um dieses Buch zu wählen, soll man sich erst über seinen
Geschmack unterrichten.
Zum Jahreswechsel schickt der Schüler seinem Lehrer Glückwünsche.
Auch zum ehemaligen Lehrer sollte der Schüler Kontakt behalten. Es
wird den Lehrer freuen, an der weiteren Entwicklung seines Schülers
noch teilzuhaben.
DIE REGELN DES GESELLSCHAFTLICHEN LEBENS.
Man soll Kindern gute Manieren nicht in Form von langweiligen
Vorschriften beizubringen versuchen, sondern spielerisch, ganz
nebenbei. Das Kind soll zu allen höflich sein, nicht zuletzt zu seinen
eigenen Freunden. Man sollte hin und wieder kleine
Kindereinladungen veranstalten. Sie verlieren auf diese Weise ihren
Altersgenossen, ebenso wie Erwachsenen gegenüber die Scheu. Auch
werden Kinder, wenn sie ihre kleinen Gäste empfangen, früh lernen,
sich als Gastgeber zu benehmen. Man lässt ihnen bei solchen
Gelegenheiten soviel Freiheit wie möglich. Man stellt ihnen ein
Zimmer zur Verfügung, in dem nichts Zerbrechliches steht. Der kleine
Gastgeber wird alle seine Spielzeuge, seine Bücher oder den Garten
seinen Freunden zeigen. Der Nachmittagskaffee kann in Gegenwart
der Eltern getrunken werden; wenn die Kinder gross genug sind,
werden sie ihre Freunde mit Begeisterung bedienen.
DIE ANMUT.
Im Ausland wirft man uns oft eine übertriebene, etwas komische Art
zu grüssen vor, nämlich die allzutiefe Verbeugung und das
Hackenzusammenschlagen, das die Verbeugung meist begleitet. Es ist
kurzsichtig, wollten wir diesen Fehler nicht korrigieren oder den
Vorwurf als unberechtigt betrachten. Wir wollen unsere Buben eine
gefällige Verbeugung lehren, die nicht zu viel Unterwürfigkeit
ausdrückt, ohne die Hacken zusammenzuschlagen. Das
Nebeneinanderstellen der Füsse muss nicht unbedingt mit Geräusch
geschehen. Und lehren wir unsere Kinder frühzeitig in ihre Gesten eine
gewisse Anmut zu legen. Ein Verbeugung soll nur angedeutet werden
und von einem ungezwungenen Lächeln begleitet sein. Man kann
Eltern nicht genug raten, ihren Kindern schon mit vier oder fünf Jahren
Gymnastikunterricht geben zu lassen. Sie sollen dort keine
Kraftübungen lernen, sondern sollen gelenkig und graziös werden.
Denn Anmut und Charme lernt man nur als Kind.
DAS PERSONAL.
Anschliessend an die Kinder sprechen wir vom Personal, weil auch
sie sich gegenwärtig, wie die Kinder gewissermassen, an ihren
Vorgesetzten »rächen«. Vor etwa 50 Jahren haben die Arbeitgeber von
ihrem Personal so viel verlangt, dass man unwillkürlich fragen muss,
wieviele von diesen Hausfrauen denn überhaupt imstande gewesen
waren, die Arbeiten ihrer Dienstboten richtig auszuführen. Die Zeit ist
vorbei, als der treue Diener im Falle der Verarmung seiner Herrschaft
dieser seine Ersparnisse zur Verfügung stellte. Die Arbeitgeber sind
zum Teil selbst schuld daran, dass diese Tage vorüber sind: sie waren
ihrer Dienerschaft nicht würdig. Sie haben wahrscheinlich ihre Macht
missbraucht. Wir erinnern uns an ein Lustspiel, in dem die Dame des
Hauses ihrem neuen Chauffeur sagte, er heisse von diesem Tag an
Joseph wie sein Vorgänger, weil sie sich nicht an einen neuen Namen
gewöhnen möchte! Sobald etwas verschwunden war, klagte man sofort
die Dienerschaft an. Wenn sich der Gegenstand wiederfand, erwartete
man vom Personal beinahe Dankesbezeugungen, weil der Verdacht
getilgt war.
Heutzutage kann man kein Dienstmädchen einstellen, wenn man
kein ordentliches Bett in einem anständigen Zimmer bieten kann. Man
verlangt zwar Zeugnisse, die aber nichts aussagen. Man fragt bei der
früheren Herrschaft nach, warum sie sich diese Perle entgehen liess,
erst dann erfährt man Einzelheiten, die niemand in Zeugnisse zu
schreiben wagt. Solche Rückfragen sollen geheim bleiben. Aber
vermutlich wird die neue Herrschaft in einem Streit damit
herausplatzen, dass sie gewarnt war und dass sie das neue Mädchen
besser nicht hätte anstellen sollen... Oder man wird eines Tages aus
Neugierde fragen, ob es stimmt, was die frühere Herrschaft über das
Mädchen erzählte. So entsteht das Drama. Es ist klüger, sich diese
unnötigen Schritte zu ersparen und das Mädchen auf sein Gesicht hin
einzustellen, ohne ihre Fehler gleich am ersten Tag zu kennen.
DAS PERSONAL UND DIE HERRSCHAFT.
Wir würden als sehr altmodisch angesehen werden, wenn wir heute
von unserem Personal verlangten, dass es in der
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