Der Gute Ton 1950
dadurch
amüsant, weil er aus Kindermund kommt. Es kann aber auch eine jener
Wahrheiten sein, die nur Kinder den Mut haben auszusprechen,
entweder weil sie noch unerzogen sind oder aus einem ungebildeten
Milieu stammen. Man wiederholt Kinderaussprüche häufig vor
Dritten, damit auch sie ihre Freude daran haben. Wenn überhaupt,
sollte man das nicht vor den Kindern tun, sie werden auch noch stolz
auf ihre Dummheiten sein und sich eifrig bemühen, neue Aussprüche
zu erfinden wie ein Kabarettkomiker — nur dass dieser die
Entschuldigung hat, dass er damit sein Brot verdienen muss.
KINDER BEI TISCH.
In wohlhabenden Familien essen die Kinder, so lange sie klein sind,
mit dem Kindermädchen, ohne die Eltern. Wenn es auch nicht immer
und überall so sein kann, dass die Kinder getrennt essen, ist es doch
geraten, sie dem grossen Tisch fernzuhalten, wenn Gäste da sind. Man
kann ihnen wohl erlauben, als besondere Auszeichnung, dem Essen
beizuwohnen, aber sie sollten sich nach dem Essen zurückziehen. Man
wird den Kindern auch sagen, dass sie, wenn Besuch da ist, nicht mehr
an den Tisch kommen dürfen, wenn sie nicht anständig waren. Nie
dürfen Kinder, auch wenn keine Fremden zugegen sind, nicht ganz
sauber zu Tisch kommen. Es genügt, dass man sie ein- oder zweimal
fortschickt, damit sie sich daran gewöhnen, mit sauberen Händen und
frisiert zu erscheinen. Es ist angebracht, wenn sowohl Buben als auch
Mädchen Wert auf ihr Aeusseres legen. Das ist eine Angewohnheit, die
sie sehr schnell annehmen. Man erwähnt erst nachher die Fehler, die
Kinder bei Tisch gemacht haben. Man wird sie während des Essens
nicht erziehen. Niemand darf glauben, dass Kinder an einem Tag
lernen, sich bei Tisch gut zu benehmen und richtig zu essen. Selbst wir
Erwachsene haben auf diesem Gebiet noch viel zu lernen. Die Eltern
müssen mit gutem Beispiel vorangehen; sie können von ihren Kindern
nicht erwarten, was sie selbst nicht erreicht haben. Denn man sollte den
Kindern nicht die Möglichkeit geben zu sagen, sie hätten das
Benehmen der Eltern nur nachgeahmt. Wir können nicht erwarten,
dass Kinder mit geschlossenem Mund kauen, wenn wir selbst
vergessen, den Mund zu schliessen. Trinken wir nicht mit vollem
Mund in Gegenwart eines Kindes. Ein Kind wird eine einmalige Lehre
nicht vergessen! Eltern sind oft der Meinung, ihren Kindern einen
guten Rat zu geben, wenn sie ihnen sagen, die Suppe zu »blasen«,
damit sie schneller kalt wird. Man sollte sie nicht Dinge lehren, die sie
als Erwachsene vergessen müssen. Sie sollen warten, bis die Suppe
abgekühlt ist, oder mit dem Löffel vorsichtig die Oberschicht ab-
schöpfen. Kinder sind unbarmherzige Richter und ein vollkommener
Erzieher wäre würdig, heilig gesprochen zu werden.
Wenn man seine Kinder zu taktvollen Menschen erziehen will, die
zu Dritten nichts sagen, was sie verletzen könnte, dann soll man selbst
über andere in Gegenwart von Kindern nicht zu hart urteilen,
besonders dann nicht, wenn man fünf Minuten vorher den
Betreffenden Bewunderung und Zuneigung entgegenbrachte. Das
Kind wird kaum verstehen, dass unsere Worte unserem wahren
Empfinden nicht entsprechen, sondern nur dem Dritten
Selbstvertrauen geben sollten. Es könnte in seiner Harmlosigkeit
glauben, dass es Heuchelei oder Schmeichelei war und dabei die
Ueberzeugung gewinnen, dass Höflichkeit nur eine Art der Lüge ist.
Versuchen Sie nicht, die Kinder schon zu früh in die ,,Finessen« des
Lebens einzuführen, sie haben noch lange genug Zeit, raffinierte
Menschen zu werden.
KINDER UND IHRE LEHRER.
Die Eltern müssen ihre Kinder dazu anhalten, dass sie ihren Lehrern
Respekt und Hochachtung schulden. Wenn Kinder Privatstunden
bezahlen müssen, sollte das Geld in einem geschlossenen Umschlag
abgegeben werden, möglichst nicht durch das Kind selbst. Sie können
die Lehrer für gute oder schlechte Erzieher halten, sie dürfen aber mit
ihren Kindern nicht davon sprechen. Sie dürfen auch nicht die
Spottnamen gebrauchen, die die Kinder ihren Lehrern geben. Sie
werden auch nicht darüber lachen, selbst wenn der Spottname komisch
und treffend sein sollte. Kinder dürfen in ihren Eltern keine
Verbündete gegen die Lehrer finden. Einer der Ehepartner darf auch
nicht den Standpunkt des Kindes dem anderen Ehepartner gegenüber
verteidigen.
Es ist schwierig, ein passendes Geschenk für einen Lehrer zu finden.
Es ist nicht angebracht, Süssigkeiten oder z. B.
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