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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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und Möbelstücken angeräumt, und dann sind da noch die Bediensteten - darunter Emmys neues Mädchen, eine Wienerin namens Anna -, doch es ist ihre.
    Nach ausgedehnten Flitterwochen in Venedig müssen sie einige Entscheidungen treffen. Sollen diese Elfenbeinsachen in den Salon? Viktors Arbeitszimmer ist nicht groß genug. Oder in die Bibliothek? Da legt er Einspruch ein. In die Ecke des Speisezimmers neben die Boulle-Buffets? Jeder Platz wirft seine eigenen Probleme auf. Das ist keine Wohnung im »reinsten Empire« wie Charles’ ausbalanciertes Ensemble von Objekten und Bildern in Paris. Es ist eine Anhäufung aller möglichen Sachen, die wohlhabende Leute in vier Jahrzehnten zusammengekauft haben.
    Für Viktor bringt der große Glasschrank voller schöner Dinge zudem eine besondere Schwierigkeit mit sich, denn er kommt aus Paris, und er möchte nicht, dass er ihn tagtäglich an ein Anderswo, ein anderes Leben erinnert. Die Sache ist die: Viktor und Emmy sind nicht ganz sicher, wie sie Charles’ Geschenk sehen sollen. Sie sind wunderbar, diese kleinen Schnitzereien, witzig und vertrackt, und offensichtlich war der Lieblingscousin Charles überaus großzügig. Aber die Uhr in Malachit und Gold und die beiden Globen von den Cousins in Berlin und die Madonna, für die findet man sofort einen Platz - im Salon, in der Bibliothek, im Esszimmer -, für die große Vitrine aber nicht. Sie ist einfach zu merkwürdig und kompliziert, und sie ist auch schlicht ein wenig groß.
    Die achtzehnjährige Emmy, aufregend schön und phantastisch angezogen, weiß, was sie will. Wenn es darum geht, was mit den Hochzeitsgeschenken zu geschehen habe, verlässt sich Viktor ganz auf sie.
    Sie ist sehr schlank, hat hellbraunes Haar und schöne graue Augen. Sie besitzt eine Art inneres Leuchten, hält sich - eine seltene Gabe - wie eine Frau, die sich ihrer selbst sicher ist. Emmy bewegt sich sehr anmutig, hat eine gute Figur und trägt Kleider, die ihre schmale Taille zur Geltung bringen.
    Als schöne junge Baronesse kennt Emmy sich in allen gesellschaftlichen Gepflogenheiten aus. Sie ist an zwei Orten aufgewachsen, in der Stadt und auf dem Land, und weiß sich an beiden zu bewegen. Ihre Wiener Kindheit hat sie im Palais der Scheys verbracht, einem pompös-strengen klassizistischen Gebilde, zehn Minuten Fußweg von ihrem neuen Heim mit Viktor, von dort sieht man auf den Ring, auf die Statue eines mürrisch dreinblickenden Goethe und auf die Oper. Sie hat einen reizenden jüngeren Bruder namens Philipp, allgemein als Pips bekannt, und zwei kleine Schwestern, Eva und Gerty, noch im Kinderzimmer.
    Bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr hatte Emmy eine sanfte und fügsame englische Gouvernante, der vor allem daran gelegen war, im Schulzimmer Frieden zu halten. Und dann kam nichts mehr. Ihre Bildung ist deshalb voller weißer Flecken. Es gibt große Bereiche, von denen sie so gut wie keine Ahnung hat - Geschichte zum Beispiel -, und sie pflegt auf eine gewisse Art zu lachen, wenn solche Themen angeschlagen werden. In Sprachen hingegen ist sie gut. Sie spricht reizend Englisch und Französisch, mit ihren Eltern wechselt sie von einer Sprache in die andere. Sie weiß viele Kinderreime auswendig und kann lange Passagen aus »The Hunting of the Snark« und »Jabberwocky« hersagen. Und Deutsch kann sie natürlich auch.
    Seit sie acht war, hatte sie wochentags an jedem Nachmittag Tanzunterricht, sie ist nun eine wunderbare Tänzerin, bei allen Bällen eine bevorzugte Partnerin für die schmachtenden jungen Männer, nicht zuletzt wegen der mit einer bunten Seidenschärpe umwundenen schmalen Taille. Emmy kann so gut Eis laufen, wie sie tanzt. Und sie hat gelernt, ein interessiertes Lächeln aufzusetzen, wenn die Freunde ihrer Eltern sich beim späten Abendessen über Oper und Theater unterhalten; in diesem Haus wird nicht übers Geschäft gesprochen. Es wimmelt von Cousins in ihrem Leben. Manche, wie der junge Schriftsteller Schnitzler, sind ziemlich avantgardistisch.
    Emmy weiß, wie man angeregt zuhört, spürt, wann sie eine Frage stellen, lachen oder sich mit einer Neigung des Kopfes einem anderen Gast zuwenden und dem Fragesteller ihren Nacken zeigen soll. Sie hat viele Verehrer, einige haben ihre jähen Ausbrüche zu spüren bekommen. An Temperament fehlt es ihr nicht.
    Für dieses Wiener Leben muss sie wissen, wie man sich kleidet. Ihre Mutter Evelina, nur achtzehn Jahre älter, verfügt ebenfalls über einen untadeligen Geschmack und trägt nur

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