Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
Vom Netzwerk:
Goldservice aufgedeckt wird, jeder Teller, jede Schüssel mit den Getreideähren und dem doppelten Ephrussi-E in die Mitte geklatscht, das Boot mit geblähten Segeln gleitet über ein goldenes Meer.
    Das goldene Service muss Ignaz’ Idee gewesen sein. Seine Möbel sind allgegenwärtig. Renaissanceschränke, geschnitzte Barocktruhen, ein riesiger Boulle-Tisch, den man nur im Ballsaal unten aufstellen kann. Auch seine Bilder sind überall. Massenhaft Alte Meister, eine Heilige Familie, eine florentinische Madonna. Holländische Bilder aus dem 17. Jahrhundert, einige davon von recht guten Malern: Wouvermans, Cuyp, etwas nach Frans Hals. Dazu Unmengen von Bildern zum Thema »Junge Frau«, einige von Hans Makart; auswechselbare junge Damen in auswechselbaren Gewandungen in irgendwelchen Räumen, umgeben von »Samt, Teppichen, Genie, Pantherfellen, Bibelots, Pfauenwedeln, Truhen und Lauten« (so ein spöttischer Musil). All das in schweren Gold- oder schwarzen Rahmen. Keine Pariser Vitrine voller Netsuke unter diesen Bildern, in diesen spektakulären theatralischen Kulissen, diesem Schatzhaus.
    Alles hier, jedes schwülstige Bild, jeder pompöse Schrank, scheint erstarrt im Licht, das vom glasüberdachten Innenhof hereinsickert. Musil verstand eine solche Atmosphäre. In großen alten Häusern herrscht ein Durcheinander, dort stehen scheußliche neue Möbel nonchalant neben wunderschönen alten Erbstücken. In den Palais der ostentativ Neureichen ist alles zu ausgewogen, wo »ein kaum merkliches Auseinandergestelltsein der Möbel oder die beherrschende Stellung eines Bildes an einer Wand, das zart deutliche Echo einer großen Verklungenheit bewahrten«.
    Ich denke an Charles mit seinen Kostbarkeiten und weiß, dass es seine Leidenschaft für sie war, die sie in Bewegung hielt. Charles konnte der Welt der Dinge nicht widerstehen: Er musste sie berühren, sie studieren, kaufen, immer wieder neu anordnen. Dass er die Vitrine mit den Netsuke Viktor und Emmy schenkte, schuf in seinem Salon Platz für Neues. Er hielt seine Räume im Fluss.
    Das Palais Ephrussi ist das genaue Gegenteil. Unter dem grauen Glasdach wirkt das ganze Haus wie eine Vitrine, aus der man nicht entkommen kann.
    An jedem Ende der langen Enfilade befinden sich Viktors und Emmys Privaträume. In Viktors Ankleidezimmer stehen seine Schränke, Kommoden, ein hoher Spiegel. Dazu eine lebensgroße Büste seines Hauslehrers Herr Wessel: »Den hatte er sehr geliebt. Herr Wessel war ein Preuße, ein großer Bewunderer von Bismarck und allem Deutschen.« Der andere große Gegenstand im Raum, über den man kein Wort verliert, ist ein riesiges - und äußerst unschickliches - italienisches Gemälde der Leda mit dem Schwan. In ihrer Erinnerung schreibt Elisabeth, sie habe es »oft angestarrt - es war riesig - jedes Mal wenn ich hineinging und meinem Vater zusah, wie er sich fürs abendliche Ausgehen ankleidete, mit steifem Hemd und Smoking, und ich konnte nie verstehen, was daran so anstößig sein sollte«. Viktor hat schon erklärt, hier sei kein Platz für Nippsachen.
    Emmys Ankleideraum befindet sich am anderen Ende des Korridors, ein Eckzimmer, dessen Fenster über den Ring zur Votivkirche und auf die Schottengasse blicken. Dort steht der schöne Louis-XVI-Schreibtisch mit den sanft geschwungenen, in vergoldeten Hufen endenden Beinen und den Goldbronzebeschlägen, den das Paar von Jules und Fanny geschenkt bekommen hat; die Schubladen sind mit weichem Leder ausgeschlagen, darin hebt Emmy ihr Schreibpapier und ihre mit Bändern gebündelten Briefe auf. Und sie hat einen übermannshohen dreiteiligen Spiegel, damit sie sich beim Ankleiden von allen Seiten betrachten kann. Der nimmt den größten Teil des Raumes ein. Dazu eine Frisierkommode und ein Waschtisch mit silbergefasster Glasschüssel und ein dazupassender gläserner Krug mit Silberdeckel.
    Und hier finden wir schließlich den schwarzen Lackkabinettschrank - Iggies Erinnerung nach »so hoch wie ein großer Mann« - mit den mit grünem Samt ausgekleideten Borden. Emmy hat die Vitrine mit der verspiegelten Rückseite und den 264 Netsuke von Vetter Charles in ihr Ankleidezimmer gestellt. Hier also ist mein gefleckter Wolf gelandet.
    Das ergibt wirklich Sinn und gleichzeitig überhaupt nicht. Wer kommt schon in ein Ankleidezimmer? Das ist kein öffentlicher Raum und sicherlich kein Salon. Falls die Schildkröten aus Buchsbaum und die Khakifrucht und die gesprungene kleine Elfenbeinfigur des badenden Mädchens hier

Weitere Kostenlose Bücher