Der Hase mit den Bernsteinaugen
ein Antiquar vor, der einen ausgebleichten Einband prüft, die Anmerkungen notiert, den wahrscheinlichen Marktwert abwägt. Es ist nicht nur ein Übergriff in ihre Lektüre, der sich seltsam und ungehörig anfühlt, sondern auch noch nahe am Klischee. Ich verwandle reale Begegnungen in gepresste Blumen.
Ich erinnere mich, dass Elisabeth wenig Sinn für die Welt der Dinge hatte, Netsuke und Porzellan, ebenso wie sie das Getue nicht mochte, was man morgens anziehen sollte. In ihrer letzten Wohnung gab es eine große Bücherwand und bloß ein schmales weißes Bord, auf dem ein kleiner chinesischer Keramikhund und drei Deckeldosen standen. Dass ich Töpfer wurde, fand sie gut, und sie stellte mir einen großzügigen Scheck aus, als ich meinen ersten Brennofen zu bauen begann, doch es amüsierte sie ein wenig, dass ich zu meinem Lebensunterhalt Dinge herstellen wollte. Was sie wirklich liebte, das war die Poesie, die Dingwelt hart und scharf umrissen, lebendig, lyrisch geworden. Dass ich aus ihren Büchern Fetische machte, hätte sie gehasst.
Im Palais Ephrussi in Wien liegen auf einer Ebene drei Räume. Am einen Ende Elisabeths Zimmer, eine Art Bibliothek, wo sie sitzt, Gedichte, Essays und Briefe an ihre poetische Großmutter Evelina, an Fanny und an Rilke schreibt. Am anderen Viktors Bibliothek. In der Mitte Emmys Ankleidezimmer mit seinem hohen Spiegel und dem Frisiertisch mit dem Strauß Blumen aus Kövecses und der Vitrine mit den Netsuke. Sie wird jetzt seltener geöffnet.
Es sind harte Jahre für Emmy. Sie ist Anfang vierzig, sie hat Kinder, die ihre Zuwendung brauchen, doch sich selbst zurückziehen. Sie alle beunruhigen ihre Mutter auf verschiedene Art und Weise, sie sitzen nicht mehr bei ihr, während sie sich ankleidet, um zu erzählen, was den Tag über vorgefallen ist. Und der kleine Junge im Kinderzimmer macht die Sache noch komplizierter. Sie nimmt die Kinder in die Oper mit, neutrales Gebiet: »Tannhäuser« mit Iggie am 28. Mai 1922, »Tosca« mit Gisela am 21. September 1923, die ganze Familie zur »Fledermaus« im Dezember.
In diesen Jahren gibt es in Wien nicht mehr ganz so viele Anlässe, sich schön anzuziehen. Anna hat deswegen nicht weniger zu tun - eine Zofe ist immer beschäftigt -, aber das Ankleidezimmer ist nicht mehr das Zentrum des Lebens im Haus. Es ist still.
Ich denke an das Zimmer und erinnere mich an Rilkes Wort von der »vibrierenden Stille« wie der eines Glasschranks.
Eldorado 5-0050
Die drei älteren Kinder verlassen die Stadt.
Elisabeth, die Dichterin, geht als Erste. 1924 promoviert sie in jus, als eine der ersten Frauen an der Wiener Universität. Und dann erhält sie ein Rockefeller-Stipendium für Amerika und ist fort.
Sie ist respektgebietend, meine Großmutter, klug und zielbewusst, sie schreibt für eine deutsche Zeitschrift über amerikanische Architektur und Idealismus, sie argumentiert, dass Inbrunst und Leidenschaft der Wolkenkratzer in der zeitgenössischen Philosophie ihre Entsprechung fänden. Nach ihrer Rückkehr zieht sie nach Paris, um Politikwissenschaft zu studieren. Sie hat sich in einen Holländer verliebt, den sie in Wien kennengelernt hat, er ist eben von einer ihrer Verwandten geschieden worden und hat aus dieser Ehe einen kleinen Buben.
Als Nächste geht die schöne Gisela. Sie heiratet einen liebenswürdigen spanischen Bankier aus einer reichen jüdischen Familie, Alfredo Bauer. Die Hochzeit findet in einer Wiener Synagoge statt, was den unfrommen Ephrussi einige Verlegenheit bereitet, sie wissen nicht, wie sie sich verhalten, wo sie stehen oder sitzen sollen. Man gibt ein Fest für das junge Paar, und der Nobelstock im Palais wird für einen repräsentativen Empfang im goldstrotzenden Ballsaal unter Ignaz’ triumphalem Deckenbild geöffnet. Gisela ist lässig-stilvoll gekleidet, sie trägt eine lange Jacke und einen um die Hüfte geschlungenen silbernen Gürtel über einem gemusterten Rock, für die Reise ein schwarzweißes Kleid mit einer dunklen Kette. Sie zeigt ein offenes Lächeln, der bärtige Alfredo sieht gut aus. 1925 zieht das Paar nach Madrid.
Dann sendet Elisabeth dem jungen Holländer Hendrik de Waal eine Nachricht: Sie habe gehört, er komme am Freitag nächster Woche nach Paris, ob sie sich treffen könnten? Ihre Telefonnummer sei Gobelins 12-85, raUs er anrufen wolle. Henk war groß, hatte leicht schütteres Haar, er trug wunderschöne Anzüge - grau mit hauchdünnen dunkelgrauen Streifen - und ein Monokel und
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