Der Hauch von Skandal (German Edition)
Alex in Sicherheit ist.“
Lottie war wieder gegangen; Joanna hatte die Brühe getrunken und versucht, ihre Hände an der kleinen Schüssel zu wärmen. Trotz der Kälte musste sie eingenickt sein, denn sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie plötzlich von einem mahlenden, splitternden Geräusch geweckt wurde. Ein Ruck ging durch das Schiff, dann fuhr der Wind knatternd in die Segel und trieb sie endlich hinaus ins offene Meer.
Vom Bug her ertönten Schreie, Männer rannten hin und her. Die Strickleiter wurde heruntergelassen, und Alex und Devlin zogen sich über die Reling zurück an Deck. Die Mannschaft brach in Jubel aus und klopfte den beiden Männern auf den Rücken, während das Schiff wieder Fahrt Richtung Norden aufnahm.
Joanna machte einen Schritt nach vorn, sie war so steif vor Kälte, dass sie beinahe gestolpert wäre. Über das Deck hinweg sah Alex sie an und blieb einen Moment reglos stehen. Dann war er auch schon bei ihr und packte sie an den Armen. Seine Augen blitzten vor Zorn, doch da waren auch noch Verwirrung und ein anderer Ausdruck, bei dem ihr Herz einen Schlag aussetzte.
„Bist du etwa den ganzen Tag hier draußen gewesen?“, fuhr er sie an.
Sein Mantel fühlte sich nass und eiskalt an unter ihren Fingern, und an seinen Wimpern hingen Schneeflocken. „Ja“, sagte sie.
„Du hättest erfrieren können!“, polterte er. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. „Hast du denn gar keinen Verstand?“
„So viel oder so wenig wie du“, gab sie zurück. „Du stehst hier und schimpfst mit mir, obwohl du längst unter Deck sein und die nassen Sachen ausziehen solltest.“
Ein paar Sekunden lang starrten sie sich aufgebracht an, dann riss Alex sie an sich und küsste sie so wild, dass ihr schwindelig wurde. Dann wurde sein Kuss sanfter, wie ein Gespräch ohne Worte, und Joanna war unendlich froh, dass sie nicht den Glauben an ihn verloren und ausgeharrt hatte. Als er sie schließlich losließ, nahm er ihre Hand und legte sie sich aufs Herz. Er sagte kein Wort und sah immer noch ärgerlich aus, aber er ließ sie nicht los.
Joanna war es gleichzeitig eiskalt und glühend heiß, ihre Gefühle befanden sich in wildem Aufruhr. Sie wusste, sie hatte sich in Alex verliebt. Ihr Verstand hatte sie davor gewarnt, aber ihr Herz hatte nicht auf ihn gehört und den Sprung ins Ungewisse gewagt. Und als Alex jetzt seine Finger mit ihren verflocht und sie die Schneeflocken auf seinen Wangen schmelzen sah, konnte sie sich nicht mehr gegen diese Liebe wehren.
Er ist nur ein weiterer Abenteurer , flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, und obwohl Joanna wusste, dass Alex nicht wie David war, überlief sie ein Schauer. Noch vor gar nicht langer Zeit hatte sie ihn fortgewünscht, damit sie den schrecklichen Verrat vergessen konnte, den sie an ihm beging. Jetzt sehnte sie sich danach, dass er bei ihr blieb, auch wenn sie Tag für Tag von dem Wissen gequält wurde, dass ihre Ehe auf einer Täuschung beruhte. Sie saß in der Falle.
Zwei Tage später liefen sie in die sichere Bucht von Isfjorden ein.
„Morgen früh um sieben brechen wir auf.“ Nach dem üblichen Abendessen aus Eintopf und trockenen Keksen nahm Alex Joanna beiseite. „Im Moment ist das Eis zu dick, sodass wir nicht in die Meerenge von Bellsund segeln können. Daher werden wir hier vor Anker gehen und auf dem Landweg dorthinreisen.“
Joanna wirkte nicht allzu erfreut. „Um sieben Uhr?“ Sie seufzte. „Wenn ich daran denke, dass ich in London kaum je vor elf Uhr aus dem Bett gekommen bin!“
„Ich fürchte, morgen musst du um einiges früher aufstehen“, teilte Alex ihr mit. „Außerdem wirst du mit Mrs Cummings im Vorratskarren reisen müssen. So etwas bist du mit Sicherheit nicht gewohnt, aber es gibt keine Kutschen – und vor allem kaum Straßen – auf Spitzbergen.“
„Ich werde reiten“, widersprach sie ihm. „Ich habe in London ausgezeichnete Reitkleidung für mich anfertigen lassen. Die soll nicht unbenutzt bleiben. Ich habe Breeches, damit ich im Herrensattel reiten kann und dazu eine Jacke im …“ Den Rest hörte Alex schon gar nicht mehr; er war wie gebannt von dem Bild, das sie eben heraufbeschworen hatte.
Johanna wollte Breeches tragen und im Herrensattel reiten?
Bei all seinen Planungen für diese Reise und für die Schwierigkeiten, die auf sie zukommen mochten, hatte er nicht einkalkuliert, dass es modebedingte Probleme geben könnte. Er sah Joanna an und versuchte sich auszumalen, welche Auswirkungen
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