Der Hauch von Skandal (German Edition)
nennen“, stimmte Joanna spöttisch zu.
Lottie nahm sich ein Glas Champagner und leerte es in einem Zug. „Liebste Jo, du weißt, wie leid es mir tut, dass ich mich von ihm habe verführen lassen, aber er war so ein Held! Da wäre es geradezu unhöflich gewesen, ihm einen Korb zu geben!“ Sie sah Joanna mit ihren großen dunklen Augen an. „Und es war ja nicht so, als ob es dir etwas ausgemacht hätte!“
„Nein.“ Joanna wandte ihr Gesicht ab. „Es war mir gleichgültig, wen David verführte.“
Es waren so viele gewesen. In den Monaten nach Davids Tod hatte sie Besuch von unzähligen Frauen bekommen, die alle behaupteten, Davids Geliebte gewesen zu sein; darunter zwei ehemalige Dienstmädchen, drei Wirtstöchter und ein Mädchen, das für die Modistin arbeitete, bei der Joanna gelegentlich ihre Hüte kaufte. Sie hatte sich schon gewundert, warum David so erpicht darauf gewesen war, sie zum Einkaufen zu begleiten, als er sich das letzte Mal in London aufgehalten hatte. Und in Anbetracht der Tatsache, dass er die meiste Zeit gar nicht im Lande gewesen war, hatten seine Ausschweifungen beträchtliche Ausmaße angenommen. Dass er imstande gewesen war, mit Lottie eine Affäre anzufangen, und dass sie und Lottie immer noch befreundet waren, spiegelte deutlich die Leere ihrer Ehe und die Seichtigkeit ihrer Freundschaften wider, wie Joanna sich verbittert eingestehen musste.
Sie merkte, dass Merryn sie beobachtete, und lächelte ihr beruhigend zu. Merryn hatte ein so behütetes Leben auf dem Land in Oxfordshire geführt. Joanna hatte nicht vor, sie zu schockieren.
„Wie dem auch sei, wir sprechen hier von dem hinreißenden Lord Grant und nicht von deinem lasterhaften verstorbenen Ehemann“, stellte Lottie mit ihrem üblichen Mangel an Feingefühl fest. Sie schien sich der gespannten Atmosphäre gar nicht bewusst zu sein. „Kann er gut küssen, liebste Jo? Mein Rat – gib ihm den Laufpass, wenn er es nicht kann. Es ist schrecklich von einem Mann geküsst zu werden, der sich nicht darauf versteht. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“
Merryn fing an zu lachen, und Joannas Niedergeschlagenheit legte sich ein wenig. Zumindest konnte man sich immer darauf verlassen, dass Lottie die Stimmung mit irgendeiner haarsträubenden Bemerkung aufzulockern verstand. Joanna empfand flüchtig so etwas wie Mitgefühl für den glücklosen Mr Cummings, einen unvorstellbar reichen Bankier, dessen einziger Lebenszweck es zu sein schien, Lotties Lebensstil zu finanzieren und unter ihrem Pantoffel zu stehen.
Lottie stieß einen kleinen Jauchzer aus. „Seht euch nur ihr Gesicht an! Er muss fantastisch küssen!“
„Gut zu wissen, dass es nicht an meinem Mangel an Erfahrung liegt, falls man mir den Laufpass geben sollte“, ertönte eine belustigte Männerstimme hinter Joanna. „Zu Ihren Diensten – in jeder Hinsicht, Lady Joanna.“ Er ließ den Blick über ihr weißes Satinkleid schweifen. „Wie bezaubernd Sie heute Abend aussehen.“
Joanna zuckte zusammen und drehte sich auf ihrem Stuhl herum. Alex Grant stand hinter ihr und sah zu ihr herab; seine dunklen Augen glitzerten. Sie begriff selbst nicht, wie ihr seine Ankunft hatte entgehen können, denn eine ganze Schar Bewunderer drängte sich um ihn und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erhaschen. Der Geräuschpegel im Raum war angestiegen, ein aufgeregtes Summen schien in der Luft zu liegen. Joanna kannte das bereits von den Zeiten, als die Menschen sich um David gedrängt hatten, um ihren Helden zu begrüßen, und sie hatte auch mit angesehen, wie David diese Aufmerksamkeit förmlich in sich aufgesogen hatte. Bei dieser Erinnerung stahl sich wieder das Gefühl von Kälte in ihre Glieder.
Hinter Alex stand ein auffallend hübscher junger Mann, mit seinem hellen blonden Haar das genaue Gegenteil von Alex, und betrachtete sie freundlich und anerkennend. Joanna lächelte ihm zu, und er errötete auf liebenswerte Weise. Dann fiel ihr Blick wieder auf Alex, der nicht errötete und womöglich noch boshafter schmunzelte. Joanna hatte das Gefühl, dass es sehr schwierig sein musste, ihn aus der Fassung zu bringen.
„Nun, sind wir immer noch ein Liebespaar?“, fragte Alex leise, als er sich über Joannas Hand beugte. Sein Atem streifte die Locken an ihrem Ohr und verursachte ihr eine Gänsehaut. Sie sah ihm in die Augen. Er hat Wimpern, um die ihn jede Frau beneiden würde, dachte sie, lang, dicht und dunkel. Die Natur konnte wirklich ungerecht sein. Und seine Augen waren,
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