Der Hauch von Skandal (German Edition)
was soll ich sonst tun im Leben? Du weißt, dass ich nur dafür lebe, Geld auszugeben.“
Joanna seufzte. Sie wusste, wie gelangweilt Lottie sich fühlte – gelangweilt von ihrem Leben in der Londoner Gesellschaft voller Leere und Extravaganz; gelangweilt von den Vergnügungen und festlichen Anlässen, obwohl sie gierig immer wieder nach neuen Erfahrungen suchte, um Erfüllung zu finden. Joanna liebte den gesellschaftlichen Trubel der Saison. Er war vertraut, lenkte ab und schenkte ihr auf seltsame Weise ein Gefühl der Sicherheit, weil sie dadurch beschäftigt war und nicht allzu sehr über ihrer gescheiterten Ehe und ihrer Kinderlosigkeit ins Grübeln geraten konnte. Aber tief im Innern wusste sie auch, dass das Leben in der Gesellschaft seicht und leer war. Im Gegensatz zu Lottie hatte sie ihre Arbeit, ihre Zeichnungen und Entwürfe. Alex Grant mochte diese Tätigkeit verachten, doch sie bot Joanna eine sinnvolle Aufgabe und ein Einkommen. Ob sie allerdings immer noch Kundschaft haben würde, wenn sie aus Spitzbergen zurückkehrte, blieb abzuwarten. An diesem Morgen hatte sie Lady Ansell mitteilen müssen, dass sich die Renovierung ihres Esszimmers um mindestens sechs Monate verzögern würde. Die Dame war nicht erfreut gewesen und sofort losgeeilt, um sich bei ihren Busenfreundinnen in der Gesellschaft darüber zu beklagen.
„Meine Lieben!“ Lady O’Hara, eine unverbesserliche Klatschbase, lenkte ihre Kalesche neben sie. „Ich habe die Neuigkeiten gerade erfahren.“ Sie legte die behandschuhte Hand vertraulich auf die Seitenwand von Lotties Landauer. „Wie edel von Ihnen, Lady Joanna, wie äußerst couragiert von Ihnen, das uneheliche Kind Ihres Mannes zu sich nach Hause zu holen.“ Sie beugte sich näher zu Joanna, und ihre stechenden grauen Augen wirkten keineswegs freundlich. „Natürlich ist es schwierig, ins Ausland zu reisen – erst recht an einen so entlegenen Ort wie den Nordpol – und gleichzeitig seinen Ruf als untadelige Dame zu wahren.“
„Ich werde mein Bestes tun.“ Joanna sah Lottie an. „Die Nachricht hat sich ja schnell herumgesprochen“, stellte sie trocken fest. „Ich habe selbst erst gestern von Davids Tochter erfahren.“
„Nun, mir kannst du das nicht zum Vorwurf machen“, sagte Lottie und warf den Kopf in den Nacken. „Du warst den ganzen Tag mit mir zusammen beim Einkaufen, also weißt du, dass ich gar nicht die Gelegenheit hatte, Klatsch über dich zu verbreiten. Schade“, fügte sie hinzu, „denn ich liebe es, die Erste zu sein, die ein Gerücht weiterträgt, aber ich sehe, da hat mich jemand um Haaresbreite geschlagen. Vielleicht haben die Bediensteten an der Tür gelauscht, als wir uns gestern unterhalten haben, oder Mr Jackman hat verlauten lassen, dass wir spezielle Eskimostiefel für unsere Reise bestellt haben …“
Lady O’Hara, deren Kalesche nun von den Gespannen von Mrs Milton und Lord und Lady Ayres abgedrängt wurde, stieß einen entzückten Schrei aus. „Eskimostiefel? Wie himmlisch! Sie werden diesen Winter ganz groß in Mode sein.“
„Es wird höchst erfreulich sein, diesen Modetrend zu setzen“, stimmte Joanna zu, „denn sie sind das eleganteste und zugleich bequemste Schuhwerk, das man sich vorstellen kann.“
„Ich werde allen empfehlen, sich welche zu bestellen“, versprach Lady O’Hara.
Lotties dunkle Augen funkelten, als sie sich umsah. „Kein Wunder, dass heute im Park so ein Gedränge herrscht“, sagte sie. „Wir sind offenbar das Stadtgespräch, liebste Jo. Wie aufregend!“
„Ich bin mir nicht so sicher, ob alle wohlwollend über uns denken“, murmelte sie. Ein Schauer überlief sie, als sie an Lotties prophetische Worte am vergangenen Tag dachte:
„Du bist der Liebling der Gesellschaft, aber ich frage mich, ob man selbst dir so etwas durchgehen lassen wird … Denk nur an das Getuschel, diesen Hauch von Skandal …“
Es war so ärgerlich, dass tollkühnes Verhalten, Abenteuerlust und Forschungsdrang bei Männern wie Alex Grant bejubelt wurden, bei Frauen jedoch als vollkommen unschicklich galten.
„Lady Joanna!“ Jetzt war es Lord Ayres, der sie begrüßte. Er war ein dünner Mann, der so aussah, als litte er chronisch unter Verdauungsstörungen und hätte sein gesamtes Leben damit verbracht, alles und jeden zu missbilligen. „Die Gerüchte entbehren doch gewiss jeglicher Grundlage“, meinte er vorwurfsvoll. „Reiselust ist etwas, das sich für eine Frau einfach nicht gehört.“
„Und für einen
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