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Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Monaten, vielleicht Jahren angehäuften Ablagerungen von Staub vor sich her, so dass der prasselnde Niederschlag noch dreckiger grau war, wenn er wieder zu Boden sank. Vom Himmel kamen Ströme von Gülle. Ja, dachte Carpenter, sehr bezaubernd, sehr hübsch der Anblick.
    Es gab auf der Erde Gegenden, das wusste er von seiner kurzen Einlage beim Samurai Weather Service, in denen süßer, reinigender, Fruchtbarkeit bringender Regen an fast jedem Tag fiel, etwa am Ostrand des Mittelmeeres, im Korngürtel von Saskatschewan oder in den Ebenen Sibiriens. Aber nicht hier. An der Westküste der Vereinigten Staaten war Regen eine derartige Seltenheit geworden, dass er, wenn er schon einmal kam, mehr eine Plage war als erfreulich, weil er dann im allgemeinen in derart übertriebener Maßlosigkeit fiel wie jetzt. Regen fiel hier so unregelmäßig, dass die Aufrechterhaltung der Wasserversorgung nie gesichert war, und er diente hauptsächlich dazu, den angesammelten Chemiedreck auf Straßen und Wegen freizusetzen und sie zu Rutschbahnen zu machen, scheußliche Rinnen in die verbrannten und entlaubten Hügelhänge östlich der Bucht zu schneiden und die losen Schmutzpartikel durcheinander zu buttern, die überall in der Stadt herumlagen, und den Dreck umzuverteilen, nicht aber ihn zu beseitigen.
    Ach, zum Teufel. Er war sicher zurück, und mit Fracht. Also war die Fahrt ein Erfolg, abgesehen von dem einen kleinen Schönheitsfehler: dieser Sache mit dem Kalmarfänger. Doch daran versuchte er nicht zu denken.
    Er trat aus dem Regen unter die Kuppelblase am Achterdeck. Dort erledigte Caskie irgendwelche Verrichtungen am Kontrollbord. Er sagte zu ihr: »Hol mir das Hafenbüro von Samurai in Oakland, bitte. Ich muss wissen, an welchem Pier ich das Ding abliefern soll. Ich nehme den Ruf in meiner Kabine an.«
    »Yessir. Sofort, Sir.«
    »Sir?«, fragte Carpenter. Bisher hatte ihn an Bord noch niemand ›Sir‹ genannt, und in der Art, wie Caskie es nun tat, lag etwas Unwirkliches und seltsam Aufsässiges. Aber die kleine Funktechnikerin war bereits in ihr Kommunikationsnest davongehuscht, um seinen Ruf durchzugeben.
    Er machte sich nach unten auf. In seiner Kabine wartete auf dem winzigen Wandvisor bereits der Oaklandoperator.
    »Captain Carpenter. Melde sicheres Einlaufen der Tonopah Maru mit Eisberg von ungefähr siebzehnhundert Kilotonnen plus. Erbitte Anlegeinstruktionen.«
    Der Android nannte ihm die Nummer der Pier, zu der er den Berg bringen sollte. Dann setzte er hinzu: »Captain, du sollst dich sofort nach Kommandoübergabe an das Hafenteam in der Administration im Schuppen Vierzehn melden.«
    »Kommandowechsel?«
    »Korrekt. Du wirst das Kommando an Captain Swenson übergeben und dich sofort zu Schuppen Vierzehn zu einer einleitenden 442-Befragung begeben.«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Du wirst von Captain Swenson abgelöst und wirst dich …«
    »Ja, das habe ich gehört. Du sagst ›442‹?«
    »Korrekt. Es gibt ein 442, Captain.«
    Carpenter war verwirrt. Was, zum Teufel, war ein 442? Aber der Android redete nur drum herum und gab keine klare Antwort. Er schaltete die Verbindung aus und ging dann an Deck.
    »Hitchcock?«
    Der eisgraue Ebenholzschädel des Navigators schob sich aus der Kuppel.
    »Suchst du mich, Sir?«
    Wieder dieses Sir . Irgendwas war wirklich faul.
    »Hitchcock, was ist ein 442?«
    Hitchcocks Gesichtsausdruck war heiter, beinahe verschmitzt, aber in den sehr weißen, blutgeäderten vorstrebenden Augen war ein merkwürdiges Glitzern. »Standeswidriges Verhalten, Sir.«
    »Standeswidrig?«
    »Verstoß gegen die Vorschrift, Sir.«
    »Ihr habt mich angezeigt? Wegen der Calamari-Maru -Sache?«
    »Sir, die 442er Vernehmung wird entscheiden …«
    »Antworte mir!« Carpenter hätte Hitchcock am liebsten am Hemd gepackt und ihn gegen die Reling gestoßen. Aber er hielt sich zurück. »Habt ihr mich angezeigt?«
    Hitchcock sah ihn heiter an. »Ja, wir alle, Sir.«
    »Alle?«
    »Rennie. Nakata. Caskie gab den Spruch durch.«
    »Wann war das?«
    »Vor vier Tagen. Wir haben denen gesagt, dass du eine Gruppe von Seeleuten in Seenot im Stich gelassen hast.«
    »Ich kann es nicht glauben. Ihr habt denen gesagt, dass ich …«
    »Das war eine scheußliche Sache, Sir. Ein Verstoß gegen jeglichen allgemeinen menschlichen Anstand, Sir.« Hitchcock war schrecklich gelassen. Er schien auf das Dreifache seiner normalen Größe angeschwollen zu sein, wirkte wie die monströse Verkörperung der Rechtschaffenheit und Moral.

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