Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
etwas. Weshalb nicht San Francisco? Nicht das Marriott? Er verlangte eine Umbuchung. Nein, erklärte man ihm, er müsse ins Dunsmuir.
Und als er dort eintraf, verstand er, weshalb. Das Hotel war eine Absteige, wie damals das Manito in Spokane, nur noch übler – ein trister Schuppen für Handelsvertreter, der mindestens hundert Jahre alt zu sein schien, in einer öden ehemaligen Industriegegend, die jetzt fast ausgestorben war, auf halbem Weg zwischen dem Oakland Airport und dem Freeway. Nichts vom Glanz des Marriott und keine Spur von dessen Komfort. Die Art Hotel, in dem mittlere Handlungsreisende logieren, die eine Nacht in Oakland verbringen müssen, bevor sie nach San Diego oder Seattle weiterziehen.
Die Firma steht hinter dir. Aber was ihn betraf, zog die Firma anscheinend langsam bereits ihre Fittiche von ihm zurück, dabei war er doch noch in keinem Punkt schuldig gesprochen. Vielleicht hatte er doch mehr Grund zu Besorgnis, als er geglaubt hatte.
Es dauerte bis zum späten Nachmittag, bis Carpenter sich in dem kleinen, düsteren, muffigen Zimmer eingerichtet hatte, das allem Anschein nach für die nächste Zeit seine Behausung sein würde. Er platzierte einen Anruf an Nick Rhodes in Santachiara, und zu seiner Verblüffung erreichte er ihn sofort.
»Ahoi, Junge!«, schrie Rhodes. »Der Seemann ist im Heimathafen, zurück von der wilden See!«
»Ja, so könnte man's nennen«, sagte Carpenter mit flacher, dumpfer Stimme. »Soweit ich mich erinnere, steht das auf irgend 'nem Grabstein.«
Rhodes wirkte sofort bestürzt. »Paul? Verdammt, was ist los? Paul?«
»Weiß ich noch nicht genau. Vielleicht ein ganzer Brocken. Ich bin in einen beschissenen Standgerichtsprozess gezogen worden.«
»Um Himmels willen, Paul! Was hast du getan?«
Müde erzählte Carpenter: »Da war dieses Schiff, dem wir draußen im Pazifik begegneten. Die hatten eine Meuterei an Bord – ach, das ist Geschichte. Ich mag das jetzt nicht alles noch mal durchkauen. Hör mal, hast du heute Abend frei? Wollen wir uns treffen und uns richtig besaufen, Nick?«
»Natürlich. Wo bist du?«
»In 'ner Absteige namens Dunsmuir, beim Airport.«
»Drunten am SFO?«
»Nein. Dem von Oakland. Das ist das Feinste, was die Firma derzeit als angemessen für mich ansieht. Aber jedenfalls bequemer für dich.« Und dann, verspätet: »Und wie geht's dir, Nick?«
»Mir geht's gut.«
»Und Isabelle?«
»Der geht es ebenfalls gut. Wir sehen uns immer noch, musst du wissen.«
»Klar tut ihr das. Ich habe nie mit was anderem gerechnet. Was treibt ihre bescheuerte Freundin, die mit der üppigen Ausrüstung?«
»Jolanda? Die ist derzeit droben in den Habitats. Aber sie müsste in ein paar Tagen wieder zurück sein. Sie ist mit Enron hingeflogen.«
»Mit dem Israeli? Ich dachte, der ist zurück in Tel Aviv.«
»Der hat sich entschlossen, noch in San Francisco zu bleiben. Bezirzt von Jolandas üppiger Ausrüstung, nehme ich an. Und dann flogen sie plötzlich zusammen zu den Satelliten rauf. Frag nicht weiter, ich weiß nicht mehr. Wo treffen wir uns heute Abend?«
»Dieses Restaurant von damals, am Kay in Berkeley?«
»Antonio's, meinst du? Gern. Welche Zeit?«
»Jederzeit. Je früher, desto besser. Ich muss dir gestehen, Nick, ich fühl mich ziemlich elend. Besonders bei dem Regen. Ich könnte einen guten Freund vertragen.«
»Wie wär's mit jetzt gleich?«, fragte Rhodes. »Ich bin sowieso für heute fast fertig. Und ich könnte ebenfalls einen guten Freund vertragen, wenn ich die Wahrheit sagen soll.«
»Stimmt was nicht?«
»Ich weiß nicht genau. Eine Komplikation, immerhin.«
»Mit Isabelle?«
»Nein, Frauen haben gar nichts damit zu tun. Ich werd's dir erklären, wenn wir uns treffen.«
»Isabelle kommt heute also nicht mit?«
»Himmel, nein«, sagte Rhodes. »Also, in 'ner halben Stunde im Antonio's. Okay? Freu mich, dich zu sehen. Willkommen daheim, du alter Seehund!«
»Ja«, sagte Carpenter. »Der Seemann ist im Hafen. So oder so.«
Der Regen prasselte auf die Perspexkuppeln des Hafenrestaurants wie von einem zornigen Riesen geschleuderte Kieselsteine. Die Bucht war fast nicht sichtbar, verschwamm im grauen Zwielicht und dem heftig wirbelnden Wassersturm. Die beiden waren praktisch allein in dem Lokal.
Nick Rhodes wirkte wie betäubt von Carpenters Bericht über die Ereignisse auf See. Er hörte sich die ganze Sache in einer dumpfen Ungläubigkeit an, sprach kaum ein Wort, sondern starrte Carpenter nur die ganze Zeit an
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