Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
Finger grüßend an die Schläfe und verschwand nach drinnen.
Mit sorgenvoller Stirn kehrte Rhodes in seine Abteilung zurück. Er dachte daran, Svobodas Notiz auf der Toilette zu lesen, doch dann überlegte er, dass höchstwahrscheinlich in dem ganzen Gebäude kaum ein Bereich mit größerer Wahrscheinlichkeit durch versteckte Kameras überwacht werden dürfte als gerade dieser. Also lehnte er sich einfach vor seinem Büro an die Wand, entfaltete den Zettel und hielt ihn sich in der hohlen Hand dicht vor die Augen, als wollte er seine Handlinien studieren.
In Blockbuchstaben stand da:
DAS HAUSANGEBOT BEDEUTETE, MAN WILL DIR EINEN JOB ANBIETEN, DICH ABWERBEN.
Sofort fühlte er, wie sein Adrenalinspiegel hochstieg. Er bekam heftiges Herzklopfen.
Was sollte das bedeuten, verdammt?
Ein Jobangebot. Von wem? Warum?
Er las die Zeilen noch einmal. Und dann ein drittes Mal. Dann ballte er das Papier zusammen und stopfte es tief in seine Tasche.
Sie wollen dich abwerben.
Vor drei Jahren hatte in der Baygegend die Erde gebebt, recht drastisch, Sechs-Komma-einige auf der Richterskala. Damals hatte das ganze Gebäude zweieinhalb Minuten lang geschwankt. Und jetzt fühlte Rhodes sich wieder genau so.
Er zitterte. Er versuchte, das unter Kontrolle zu bringen. Es gelang ihm nicht.
Jemand will dir einen Job anbieten.
Vergiss es!, befahl er sich.
Mit sowas willst du nicht herumspielen. Du hast doch einen Job. Und es ist ein guter Job. Du hast eine prima Abteilung, eine Menge guter Leute für dich arbeiten, wirst angenehm honoriert, hast Aussichten auf glatten stetigen Aufstieg. Außerdem hast du in deinem Leben noch nie für eine andere Firma als für Samurai Industries gearbeitet. Du hast nie für jemand anderen arbeiten wollen als für Samurai Industries!
Er griff in die Tasche nach dem zerknüllten Zettel.
Wirf es weg, Nick! Wirf es fort!
Er ging zurück in sein Büro. Auf allen Inputs blinkten die Lämpchen, doch er kümmerte sich nicht darum. Er goss sich erst einmal einen Drink ein, einen ziemlich großen diesmal.
Dann überlegte er, wie es sein würde, für eine andere Firma zu arbeiten.
Zweifellos waren es seine eigenen Zwiespältigkeiten und seine Decidophobie, die ihn bei Samurai festnagelten. Und genauso war das in der Beziehung zu Isabelle. Gerade erst vor kurzem hatte er sich überlegt, dass er dringend etwas in seinem Leben verändern müsse, und das alles kehrte jetzt wieder und schoss tosend durch ihn hindurch, diese ganze Flut von unbestimmten Ressentiments, turbulent, fast explosiv, brodelte in ihm auf. Es war gar nicht so lange her, da hatte er Paul Carpenter zugegeben, wie tief er die Vorstellung verabscheute, dass Samurai Industries durch ihn ein Monopol auf die Adapto-Technologie beim Menschen erhalten könnte. Und Paul hatte ihm sofort die richtige Lösung genannt: Santachiara aufgeben. Zu jemand anderem wechseln, wie etwa zu Kyocera-Merck. Die ganze Abteilung mitnehmen. Die Gentechnologie dem Wettbewerb aussetzen. Samurai und K-M darum kämpfen lassen, wer die Weltherrschaft übernimmt …
Bot sich ihm hier die Chance, genau dies zu tun?
Dann musste er sie ergreifen!
Aber finde wenigstens heraus, was das Ganze auf sich hat, sagte er sich selbst nachdrücklich. Du rufst diesen Nakamura an und machst ein Treffen mit ihm aus!
»Verbinde mich mit Mr. Nakamura bei East Bay Realty«, befahl er wie in Trance seinem Sekretariat.
Es ist wie ein Date, dachte er, das möglicherweise zu einer ehebrecherischen Liebesaffäre führt.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe die Verbindung stand. Eigentlich sollte man doch annehmen, dass Grundstücksmakler brennend daran interessiert sein müssten, mit potentiellen Käufern zu sprechen, doch anscheinend war es nicht die leichteste Sache auf Erden, einen Rückruf für Mr. Nakamura zustande zu bringen. Schließlich blinkten Lämpchen auf, und ein japanisches Gesicht sah ihn aus dem Visor an. Die standardisierte Undurchdringlichkeit, glatte Ausdruckslosigkeit im Gesicht, trotz des Androidenlächelns. Irgendwie wirkte das Gesicht echt japanisch, nicht wie das eines Japamerikaners, dachte Rhodes, ohne einen besonderen klaren Beweis dafür zu haben. Interessant.
»Ich bin Mister Kurashiki«, sagte das Gesicht. »Mister Nakamura bedankt sich herzlich für deinen Rückruf. Er kann zu jedem der folgenden Termine heute oder morgen mit dir sprechen.«
Im Visor tauchte ein Memo auf: 12:00 h; 14:00 h; 16:00 h. Für den nächsten Morgen gab es neun oder elf
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