Der hellste Stern am Himmel
vertraute fest auf Sicherheitsnetze, Rettungspläne und Vorkehrungen für den Notfall.
Aus ihrer Handtasche holte sie ein hübsches kleines Notizbüchlein, dessen blassgelbe Blätter mit Butterblumen bedruckt waren. Mit einem dazu passenden gelben Stift schrieb sie:
»Lieber Andrej,
ich war bei Dir, wie wir es verabredet hatten, aber Du warst nicht zu Hause. Ich weiß nicht, womit ich diese demütigende Behandlung verdient habe.«
Sie überlegte, ob sie hinzufügen sollte: »Ich habe immer nur Dein Bestes gewollt«, vermutete aber, dass es übertrieben wäre. Weniger ist mehr. Manchmal.
Sie riss das Blatt heraus und schob es unter der Tür durch, dann trippelte sie die Treppe hinunter und griff wieder zu ihrem Büchlein. In sauberer Handschrift
schrieb sie ihren Namen und die Telefonnummer des Krankenhauses, in dem sie arbeitete, auf, trennte die Seite sorgfältig heraus, faltete sie sauber und steckte sie unter Fionns Tür hindurch.
SECHSUNDDREISSIG TAGE …
Sie lagen eng umschlungen, Lydias Kopf auf Andrejs glatter Brust, seine Finger in ihren Locken vergraben.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Andrej nachdenklich. »Ich mag dich überhaupt nicht.«
»Mmmm, und ich hasse dich.«
»Du hast so schlechte Manieren.«
»Und du hast keinen Humor.«
»Kannst du mir bitte erklären, warum dies hier passiert?«
»Habe keinen Schimmer.«
»Was?«
Sie seufzte. »Wahrscheinlich liegt es daran, dass deine Freundin berufsmäßige Jungfrau und diese Wohnung so klein ist.«
Die Verzauberung ließ nach.
Lydia kletterte aus dem Bett, suchte ihre Sachen zusammen und blieb an der Tür stehen. Sie bedeckte ihre Blöße nicht. Sollte er sie ansehen. Er bedeckte sich allerdings auch nicht. Er lag auf dem Bett, die Decke war auf den Boden gerutscht, den einen Arm hatte er unter den Kopf geschoben, und sein harter, muskulöser Körper lag nackt vor ihr. »Nie wieder«, sagte sie. »Hast du gehört?
Wenn es noch einmal passiert, ziehe ich aus. Aus«, sagte sie mit Nachdruck. »Dann müsst ihr eine neue Mitbewohnerin suchen, und denk dran, wie schwierig es das letzte Mal war. Dann müsst ihr eine Anzeige in die Zwergen-Times setzen.«
»Nie wieder passt mir gut.«
VIERUNDDREISSIG TAGE
Katie steckte den Kopf durch die Wohnzimmertür. »Hi, Dad.«
Ihr Erscheinen erfüllte Robert Richmond mit Energie, er strich sich die Zeitung vom Schoß, so dass sie auf den Kaminvorleger fiel, und sagte: »Wie geht es unserer Miss Havisham?«
»… Meinst du … etwa mich?«
»Ach, Katie, Katie, was bildest du dir nur ein? Er kommt mitten in der Nacht zu dir, nach dem, was wir wissen, ziemlich betrunken, fällt vor dir auf die Knie, und du glaubst, er meint es ernst?«
Katie ärgerte sich, dass sie überhaupt jemandem von Conalls Besuch im Morgengrauen erzählt hatte, und dann auch noch Naomi! Denn obwohl Naomi allen kundtat, dass sie ihre Mum hasste, erzählte sie ihr alles. Im Haus der Richmonds gab es nie eine stille Ecke, wo man sich die Wunden lecken konnte.
»Ich habe nicht geglaubt, dass er es ernst meint.« Sie gab sich Mühe, ihre Stimme nicht zu erheben. »Ich habe nicht Ja gesagt.«
»Ich habe gehört, er hat jetzt sein Auge auf ein junges Ding geworfen«, sagte Robert fast fröhlich. »Naomi hat
gesagt, er hat Blumen geschickt. Und dass du ganz unglücklich bist.«
Auf ungute und befremdliche Art drückte Dad mit seiner Grausamkeit Mitgefühl aus. Robert und Penny Richmond hatten sich viel Mühe gegeben, ihren Kindern ein mächtiges Wertesystem zu vermitteln: Das Streben nach Höherem endet in Tränen; Hochmut wird immer bestraft; wer nichts erwartet, findet das Glück.
Penny kam aus der Küche herbeigeeilt und bot in ihrer Simpsons-Schürze einen Anblick von Häuslichkeit. Offenbar hatte sie zugehört. »Du hättest dich nie mit ihm einlassen sollen.«
»Und warum nicht?«
Katies Mutter reckte ihren Hals auf das Zehnfache seiner normalen Länge und wich schockiert zurück. »Erhebst du etwa deine Stimme gegen mich?«
Robert wollte sich diese Gelegenheit, gekränkt zu sein, nicht entgehen lassen, und erhob sich halb aus seinem Sessel. »Erhebst du deine Stimme gegen deine eigene Mutter? In ihrem eigenen Haus? Während sie das Sonntagsessen zubereitet?«
Ein angespanntes Schweigen entstand, und Katie hörte, wie Naomi in der Küche fragte: »Was ist da drinnen los?«
Die neunjährige Nita antwortete: »Ich glaube, Auntie Katie hat Granny angebrüllt.«
Und Ralph fügte hinzu: »Oh, Mann, Naomi, deine Familie. Wo
Weitere Kostenlose Bücher