Der hellste Stern am Himmel
in das Schlüsselloch steckte und geschickt hin und her bewegte. Plötzlich hielt sie inne. Sie zog den Bügel aus dem Schlüsselloch. Sie war ganz blass geworden. »Die Tür ist von innen abgeschlossen. Der Schlüssel steckt.«
»Er ist in der Wohnung?«, fragte Sissy tonlos.
»Was soll das heißen, er ist in der Wohnung?« Maeve schnappte noch immer nach Luft.
Conall schlug hart an die Tür. »Matt? Matt?« Er wandte sich an Maeve. »Haben Sie geklingelt?« Stumm schüttelte sie den Kopf. Conall machte die Haustür auf, trat hinaus und drückte lange auf den Klingelknopf zur Wohnung Nummer 1. Als niemand über die Gegensprechanlage antwortete und Matt auch nicht zur Tür kam, sagte Conall zu Maeve: »Rufen Sie ihn an. Übers Festnetz.«
Maeve gab ihm ihr Handy. »Die Nummer steht unter Wohnung.«
Conall tippte, dann hörte man in der Wohnung das Telefon klingeln. Die anderen hielten den Atem an, und als die Ansage auf dem Anrufbeantworter einsetzte, waren sich alle einig, dass sie sich plötzlich mitten in einem tragischen Stück befanden.
»Bloß weil der Schlüssel steckt, heißt das doch nicht, dass er drinnen ist«, sagte Fionn.
»Wieso nicht?«, fragte Conall.
»Er hätte die Tür abschließen und durchs Fenster rausklettern können.«
»Aber ist das wahrscheinlich?« Conall stellte Maeves Fahrrad von der Wohnungstür weg. »Zurück.« Die anderen
waren wie gelähmt – wie hatte die Sache nur so schnell so ernst werden können? –, als Conall sich mit der Schulter gegen die Tür warf, aber wieder abprallte. (Jemima bemerkte, dass Fionn sich ein sarkastisches Grinsen nicht verkneifen konnte.) Conall versuchte es wieder, und diesmal wurde er nicht so stark zurückgeworfen.
»Was ist hier eigentlich los?«, flüsterte Maeve. »Ich versteh das alles gar nicht.«
Beim dritten Versuch hörte man das Splittern von Holz. Noch zwei Mal, und die Wohnungstür brach auf.
»So«, keuchte Conall. Er sah die anderen an, aber niemand wollte die Wohnung betreten. Er musste es selbst tun. Er kauerte vor der Tür – es war ein bisschen, als wäre er im Begriff, in einen Fluss voller Krokodile zu springen –, dann warf er sich hinein. Einige Augenblicke war es gespenstisch still, dann hörten sie ihn. »Katie! Katie!«
Kreidebleich ging Katie in die Wohnung, folgte seiner Stimme, und erschien fast umgehend mit Anweisungen. »Lydia, ruf einen Krankenwagen. Fionn, komm und hilf Conall, ihn zu tragen. Jemima, Sie bleiben bei Maeve.« Während sie sprach, zog sie sich den Rock hoch und die Strumpfhose aus. Sie riss die Strumpfhose an ihrem schwächsten Punkt, nämlich am Zwickel, entzwei. »Zum Abbinden«, sagte sie.
Jemima legte Maeve die Hände auf die Schultern. »Dies ist nicht der beste Moment, um Ratschläge zu erteilen, aber vielleicht haben wir keine andere Gelegenheit. Hören Sie gut zu, was ich zu sagen habe, es ist sehr, sehr
wichtig. Ihr Körper gehört Ihnen. Nicht dem Mann, wer immer er war. Holen Sie ihn sich zurück.«
Maeve sah sie mit düsterem, fassungslosen Blick an. Sie war wie in Trance von dem Schock. »Woher wissen Sie das?« Ihre Stimme zitterte.
»Ich bin sehr alt. Ich habe viel gesehen. Ihre Angst vor Männern, Ihre verhüllende Bekleidung, es scheint mir offensichtlich –«
»Ich fasse es nicht …!« Das war Sissy. Sie legte Jemima ihre Hand auf den Arm. »Sind Sie nicht … Mystic Maureen?«
Jetzt nicht, meine Gute, jetzt ist nicht die Zeit. Widerstrebend drehte Jemima sich um. »Sissy, sind Sie es?«
»Ich kann es wirklich nicht glauben!« Sissys Stimme überschlug sich fast. »Hör auf sie. Du musst auf sie hören. Ich meine, diese Frau!« Sissy gestikulierte wild. »Glaub ihr alles, was sie sagt. Sie hat hellseherische Fähigkeiten.«
»Nein, wirklich, ich bin keine Hellseherin. Einfach nur alt. Aber ich –«
»Der Krankenwagen ist hier!«
»Das ging ja schnell«, sagte jemand.
Lydia sah zu, wie Matt leblos und triefend von rotem Wasser, um beide Arme schwarzes Nylon gebunden, auf einer Trage aus der Wohnung gebracht und in den Krankenwagen gehievt wurde. Sie ging zu Conall hinüber. Sein dunkler Anzug war nass, sein weißes Hemd voller Flecken, vermutlich Blut. Er telefonierte mit Eilish Hessard und organisierte eine neue Tür für Maeves und Matts Wohnung. Als er das Gespräch beendete, fragte Lydia ihn leise: »Was ist passiert?«
Conall vergewisserte sich, dass Maeve nicht zuhörte, und sagte: »In der Badewanne. Hat sich die Pulsadern aufgeschnitten.«
Himmel!
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