Der hellste Stern am Himmel
Das war nicht schön, nicht im Geringsten.
Sie sollte etwas essen. Oder vielleicht eine Runde schlafen.
Poppy sagte immer, Gilbert habe wahrscheinlich eine Frau und sechs Kinder in Lagos. Es war der übliche Witz unter Lydias Freunden, dass Gilbert ein Doppelleben führte. Lydia wies das höhnisch von sich. Wenn einer für sieben andere Menschen zu sorgen hatte, würde er nicht so viel Geld für Kleidung ausgeben wie Gilbert.
Aber es wäre möglich, das musste sie zugeben. Es war nicht unmöglich.
Gilbert war undurchschaubar.
Man könnte auch unehrlich sagen.
Als sie sich kennenlernten, hatte er ihr erzählt, er sei dreißig, aber ein paar Wochen später stellte sich heraus,
dass er erst siebenundzwanzig war. Ein paar Sachen über ihn wusste sie von Odenigbo – zum Beispiel, dass er einen Anteil an einem kleinen Restaurant in der North George Street besaß –, Gilbert selbst hatte ihr nie davon erzählt. Aber warum sollte er auch? Sie hatte kein Recht auf ihn, und über sie gab es auch etliches, was er nicht wusste.
Andererseits musste sie zugeben, dass einige von Gilberts Aussagen über sich irgendwie überflüssig waren. Er hatte ihr erzählt, dass er gegen Eier allergisch war. Er bestand geradezu darauf. Ein Krümel von einem Baiser könnte ihn umbringen, sagte er. Aber einmal hatte sie gesehen, wie er genüsslich ein Omelett verspeiste, ohne daraufhin auf das Siebenfache seines normalen Körperumfangs anzuschwellen, sich auf dem Boden zu wälzen und nach Luft ringend um eine Adrenalinspritze zu bitten.
Ihr war klar, dass er sie absichtlich belog; er wollte sie im Dunkeln darüber lassen, wer er wirklich war. Gilbert war ein verschwiegener Mensch, der einen Teil von sich für sich behalten musste. So war er, und das war ihrer Meinung nach besser, als wenn sie es mit einem Schwächling zu tun hätte, der sich ihr uneingeschränkt öffnete und dann das Gleiche von ihr verlangte.
Trotzdem, jetzt wünschte sie sich, dass ihr Geliebter nicht ganz so geheimnisvoll war. Es war ein schöner Sommerabend, und der Gedanke, ihn in dieser Wohnung verbringen zu müssen, machte sie ganz verrückt. Verzweifelt schickte sie ein paar SMS, aber niemand war bereit, mit ihr loszuziehen. Shoane lag im Bett und pflegte den Kater vom Abend zuvor, und Sissy hatte eine
Verabredung! Mit einem Mann, den sie in der Schlange vor dem Fahrkartenschalter von BusAras kennengelernt hatte. Poppy versuchte, eine Sitzordnung für ihre Hochzeit aufzustellen. Anscheinend war es eine komplizierte Angelegenheit, da einige Familienmitglieder nicht mehr miteinander sprachen und voneinander getrennt gehalten werden mussten.
»Sollen sie es doch untereinander klären«, empfahl Lydia.
»Das geht nicht.« Nach einer Pause sagte Poppy mit Tränen in der Stimme: »Aber manchmal möchte ich einfach nur wegrennen.«
Lydia verstand das nur zu gut. Wenn sie mit sechsundzwanzig heiraten sollte, wäre sie vor Angst außer sich. Sie wusste nicht, warum Poppy sich dazu bereiterklärt hatte. Sie war so jung, sie hatte noch so viele Jahre ihres Lebens vor sich, und jedes einzelne müsste sie jetzt mit Bryan verbringen, der ja ein netter Kerl war, aber würde Poppys Interesse an ihm auch für die nächsten fünfzig Jahre reichen? Bei dem Gedanken wurde ihr innerlich ganz kalt.
»Komm, geh mit mir aus. Ein, zwei Drinks, das wird dich beruhigen.«
»Lids, ich kann nicht.« Poppys Stimme hatte einen hysterischen Ton.
»Oder ich komme vorbei und helfe dir mit der Sitzordnung.«
»Du wärst keine Hilfe. Du würdest mir mehr als einmal erklären, dass ich verrückt bin, mit sechsundzwanzig zu heiraten, du würdest mir sagen, dass Bryan langweilig ist –«
»Nicht langweilig, das habe ich nicht gesagt.«
»Besonnen! Du hast gesagt, er ist besonnen. Das ist genau das Gleiche wie langweilig.«
»Ich mag Bryan.«
»Aber du willst ihn nicht heiraten.«
»Du heiratest ihn doch.«
»Du willst auch nicht, dass ich ihn heirate.«
»Ich möchte, dass du glücklich wirst.« Das war einer der nützlichsten Sätze, die sie in ihrem Leben gelernt hatte, dachte Lydia. Diplomatisch, aber nicht unehrlich. Es war nicht gut, offen zu lügen. Man brauchte einen Code, an den man sich halten konnte.
»Und du glaubst nicht, dass ich glücklich werde, wenn ich Bryan heirate.«
»Doch, Poppy. Das glaube ich, wirklich.«
»Aber –«
»Wirklich, ich glaube das. Wir hören mal lieber auf, ich sollte dich weitermachen lassen. Viel Glück.«
Sie legte auf, froh, dass sie sich
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