Der hellste Stern am Himmel
das in Ordnung?«
»Sicher, klar. An wen dachten Sie?«
Aber Fionn schien sie gar nicht zu hören. Er war in sich versunken. Künstler! Allüren! Diese Eigenart irritierte sie am meisten. Sie kam damit zurecht, wenn Menschen von Dämonen besessen waren, ob Zorn oder Knauserigkeit oder krankhafte Eifersucht, aber für Allüren hatte sie, eine erprobte Pragmatikerin, keine Zeit. Fionns Blick wurde klar, als er wieder in die Wirklichkeit aufstieg. »Grainne«, sagte er, »wie nennt man das Gefühl, wenn man die ganze Zeit an jemanden denken muss?«
»Ehm … meinen Sie Obsession?«
Dankbar schnalzte Fionn mit den Fingern. »Obsession! Ganz richtig!«
DREIUNDFÜNFZIG TAGE …
Matt ging fünf Minuten eher von der Arbeit weg. Die Besprechung bei der Bank of British Columbia am Vormittag hatte kein Ergebnis gebracht. Die Leute waren freundlich gewesen, hatten neue Fragen gestellt und versprochen, sie würden sich melden, und er war völlig erledigt. Als er wieder in seinem Büro saß, hatte er einen verrückten Moment lang den Wunsch, bei British Columbia anzurufen und zu sagen, dass er ihnen das System nicht verkaufen würde – einfach, damit das qualvolle Warten ein Ende hatte.
In der Mittagspause blieb er allein im Büro und las Top Gear . Als er das durch hatte – und das ging viel zu schnell –, griff er nach Cleos Zeitung und löste die drei Sudokus, eins nach dem anderen. Doch in dem Augenblick, als er die letzte Zahl eingesetzt und seinen Stift hingelegt hatte, überkamen ihn Schuldgefühle. Ein Sudoku in der Zeitung eines anderen zu lösen, war sehr böse. Es war wie Stehlen. So, als würde man das Stück Kuchen essen, das sich jemand im Kühlschrank aufgehoben hatte.
Er würde es ihr gestehen und ihr eine neue Zeitung kaufen. Er faltete die Zeitung, um seine Missetat vor sich selbst zu verbergen, und dabei fiel sein Blick auf einen kurzen Artikel über die Eisbrocken, die an verschiedenen Orten vom Himmel fielen. Es war eine Zusammenfassung von dem, was er ohnehin schon wusste, aber er las den Artikel trotzdem gern. Er kniff die Augen zusammen, als ihm auffiel, dass alle Eisbrocken bisher auf Hauptstädte niedergegangen waren. Hatten die Experten
das registriert? Was hatte das zu bedeuten? War es der Beginn eines apokalyptischen Niedergangs, bei dem die Hauptstädte der Welt das Ziel waren? Er konnte schon die Nachrichten auf CNN hören: »Riesige Hagelkörner prasseln auf Buenos Aires nieder … sensationelle Nachrichten aus Washington DC … Panik in den Straßen Tokios …« Wie in einem guten Film.
Welche Chancen bestanden, dass einer dieser Eisbrocken auf Dublin landete? Und wo würde er landen? Wessen Auto würde zertrümmert, wessen Dach beschädigt oder – schrecklicher Gedanke – wessen Leben beendet? Den Bruchteil einer Sekunde war der Gedanke so herrlich, dass er die Augen schloss, um ihn voll auszukosten.
Doch das leuchtende Bild wurde ihm schnell zuwider. So etwas passierte einfach nicht. Es gab keine Gerechtigkeit. Keine. Überhaupt keine.
Er konnte sich nicht aus seinen düsteren Gedanken befreien. Nichts, auch Cleo nicht, die ihm fröhlich seinen Sudoku-Diebstahl nachsah, konnte ihn aus seinem Loch holen und sein inneres Gleichgewicht wiederherstellen. Er war nicht imstande zu arbeiten. Er müsste neue Aufträge an Land ziehen, neue Firmen erschließen und ihnen Edios Software aufschwatzen, aber im Moment stand ihm nicht der Sinn danach.
Er hatte einen schlechten Tag, das ging jedem gelegentlich so. Morgen wäre es vielleicht schon besser, aber jetzt konnte er auch aufgeben.
»Muss weg. Zahnarzttermin«, sagte er leichthin.
Teilnahmsvolles und überraschtes Gemurmel folgte ihm, als er aus dem Büro eilte. Der tapfere Matt, da wusste er die ganze Zeit, dass er zum Zahnarzt musste,
und erwähnte es mit keiner Silbe. Was war er doch für ein fantastischer Kerl! Selbst Niamh (die in der Mittagspause noch einmal zum Friseur gegangen war und sich die Haare neu hatte schneiden lassen), überlegte, ob sie nicht doch ihre Meinung über ihn ändern sollte.
Matt setzte sich ins Auto und fuhr vom Parkplatz – aber er schlug nicht die Richtung nach Hause ein. Ich bin ihm gefolgt und versuchte sein Ziel zu erahnen. Ich überlegte, ob die Geschichte mit dem Zahnarzt doch stimmte und nicht nur ein Vorwand gewesen war. Dann bemerkte ich, dass er die Richtung zum Dockland einschlug. Lag ich richtig mit meiner Vermutung, was das bedeutete?
Ich lag richtig.
In derselben Nebenstraße, in der
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