Der Herodes-Killer
Stapel und nahm die oberen zehn Blätter in die Hand.
«Das hier ist eine Transkription des gesamten Interviews, das ich heute Nachmittag mit ihr geführt habe.»
«Wie kommt es, dass man es so schnell für Sie getippt hat, Robert?»
«Ich habe es selbst getippt, Sir.» Harrison reichte Rosen die Seiten. «Ich habe alle wichtigen Informationen unterstrichen.»
«Danke. Wie sind Sie mit Jane Rice zurechtgekommen?»
«Sie hat derzeit keinen Kontakt mehr zu Dwyer. Aber bis etwa Mitte der 1980er Jahre wusste sie, wie es bei ihm lief. Seine Mutter wurde durch Unlock beraten. Weil sie ihren Körper in ihrer Zeit als Junkie so malträtiert hatte, nahm sie eine Kombination aller möglichen vom Arzt verschriebenen Medikamente. Sie ist unerwartet gestorben; der Gerichtsmediziner hielt es für die Folge eines Missgeschicks, da sie zu viele Tabletten innerhalb von vierundzwanzig Stunden eingenommen hatte. Ich werde der Sache gleich morgen früh nachgehen. Jedenfalls wurde Paul Dwyer etwa um die Zeit des Todes seiner Mutter aus dem Medizinstudium geworfen. Er hat zwei Jahre am University College London Medizin studiert, aber danach wird die Spur kalt. Nach dem Tod seiner Mutter hat Jane Paul aus den Augen verloren, aber eine interessante Beobachtung hat sie noch gemacht. Seine Mutter war wohlhabend, sie hatte ein kleines Vermögen geerbt. Paul war zweifellos seinerseits ihr Erbe. Soll ich mir seine Laufbahn als Medizinstudent vornehmen, oder wollen Sie das Bellwood oder Corrigan übertragen?»
«Sie haben hier ausgezeichnete Arbeit geleistet, Robert. Warum sollte ich Ihnen das wegnehmen, nachdem Sie schon so viel getan haben?»
«Sie vertrauen mir nicht, Sir.»
«Haben wir das nicht schon hinter uns, Robert?» Rosen zeigte auf Baxters Tür. «Er versucht, mir Fehler anzuhängen, und Sie tragen ihm alles zu, deswegen vertraue ich Ihnen nicht.»
«Als ich zur Metropolitan Police versetzt wurde, hatte ich nicht vor, ein Spitzel zu werden.»
«Und was hat sich seitdem geändert?»
«Baxter. Er hat mir klipp und klar gesagt, dass er meiner Karriere jeden erdenklichen Stein in den Weg legen wird, wenn ich nicht bereit bin, mich als seine ‹Augen und Ohren› zur Verfügung zu stellen. Wenn ich dagegen in die Rolle als Spion schlüpfte, würde er mir nicht in die Quere kommen. Sie sollen einfach nur wissen, dass es nichts Persönliches ist. Nichts von alldem war etwas Persönliches.»
Es klang ganz nach Baxter, die Unterlegenheit Schwächerer auszunutzen, um seine eigensüchtigen Ziele zu befördern.
«Warum sind Sie nicht gekommen und haben mir davon berichtet, als es passiert ist?»
«Bei aller Hochachtung, aber was hätten Sie dagegen unternehmen sollen? Baxter ist dabei, Sie öffentlich vorzuführen. Ich wäre gerne ein Teil dieses Teams, ich möchte das Gefühl haben, hierherzugehören.»
«Ich werde sehen, was ich tun kann, Robert.»
Harrison stand auf und streckte die Hand aus. «Seien Sie mir nicht böse», sagte er.
Rosen schüttelte Harrison die Hand und ließ sie so schnell wie möglich wieder los.
«Da ist noch etwas», sagte Harrison. «Ich habe bei ein paar von unseren Leuten mitgehört, wie sie sich über eine fehlende Seite in einem Gedichtband in Father Flints Schlafzimmer unterhalten haben. William Blakes Songs of Innocence and Experience. Ich habe mit Eleanor Willis telefoniert und mir die bibliographischen Angaben geben lassen. Der Verlag ist Everyman Classics, das Erscheinungsjahr 1973, es fehlen die Seiten 23 und 24. Ich habe das Buch bei AbeBooks gesucht und mit einem Buchhändler gesprochen. Die beiden fehlenden Gedichte waren ‹The Tyger›, Der Tiger, und ‹The Sick Rose›, Die kranke Rose. Ich habe mir eine Kopie der ‹kranken Rose› aus dem Internet ausgedruckt.»
Harrison legte den Ausdruck des Gedichts mit der Schrift nach unten auf Rosens Schreibtisch.
«Bis morgen, Sir. Bitte seien Sie mir nicht böse.»
«Gute Arbeit, gut gemacht.» Harrison lächelte und ging. Rosen drehte das Blatt um und las leise:
Die kranke Rose
Oh Rose! Du bist krank!
Der unsichtbare Wurm,
Der fliegt des Nachts
Im heulenden Sturm,
Fand dein Bett
Der hochroten Freude:
Und seine dunkle, geheime Liebe
Zerstört dein Leben.
In der Stille der Nacht stellte Rosen sich vor, Father Sebastian Flint lache ihm leise und doch beharrlich ins Gesicht. Er sah Flint in der finstersten Ecke eines fensterlosen Raums vor sich, wie er in dessen stockdunkle Leere hineinlachte und sich den nächsten irrsinnigen Trick
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