Der Herr der Falken - Schlucht
Das war ganz neu für sie, und sie war völlig verstört. Dann lächelte er wieder. Zu Mutter sagte er, du seist ein guter Mann, und Chessa habe dich von Anfang an bewundert. Sie habe nicht einmal deine Narbe gesehen, was ein sicheres Zeichen dafür sei, daß sie dich liebt. Jetzt ist er zufrieden, nicht glücklich, aber zufrieden.«
»Freut mich, das zu hören«, entgegnete Cleve und klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Ich hätte es nicht gern, wenn dein Vater hier auftaucht und mir die Kehle aufschützt.«
»Mein Vater sagt, das würde Chessa besorgen, falls du es verdienst.«
»Ja, dazu wäre sie imstande«, nickte Cleve bedächtig.
»Vater hat dir erlaubt, nach Schottland zu reisen«, wunderte sich Chessa. Brodan war noch ein Kind, und eine solche Reise barg große Gefahren.
»Ich will das Kloster Iona besuchen, wo der Heilige Columba lebte und predigte. Hast du gewußt, daß Kenneth seine Gebeine vor vielen Jahren vom Kloster Iona nach Scone bringen ließ?«
»Ja«, bestätigte Igmal. »Mein Großvater erzählte mir, daß Kenneth, der die Skoten und Pikten vereinte, seinen Regierungssitz von Argyll nach Scone in Perth verlegte und die Gebeine des Heiligen Columba aus Iona entfernte und auch den Stein des Schicksals von Dunadd nach Scone bringen ließ. Mein Großvater verachtete Kenneth für diesen Frevel. Kenneth ist überdies durch die weibliche Linie auf den Thron der Pikten gekommen, was gar nicht rechtmäßig ist.«
»Was ist der Stein des Schicksals?« fragte Chessa.
Broadans Stimme sank zu einem Flüstern. »Er sieht aus wie ein normaler Sandstein, aber er diente Jakob, dem Sohn von Isaak und Enkel von Abraham als Kopfstütze, als er von den Engeln und der Himmelsleiter träumte.«
»Studierst du immer noch die Lehre der Christen, Brodan?« fragte sie. Die Namen, die er nannte, waren ihr unbekannt, doch sie hörte die Ehrfurcht aus seiner Stimme.
»Ja, Chessa. Ich will im Kloster Iona leben und den christlichen Glauben ausüben.«
»Aha«, sagte sie nur. Glaubte er, bereits im Alter von acht Jahren seine Bestimmung im Leben gefunden zu haben? Zugegeben, er war schon immer ein ernsthaftes Kind. »Ist Vater wohlauf, Brodan?«
»Ja, er hat sich nicht geändert. Mutter hat wieder einen Buben bekommen. Vater braucht mich nicht, da er außer mir noch vier Söhne hat. Er sagte, er wolle die Sterne befragen. Und später sagte er, die Zeichen stünden gut und ließ mich ziehen.«
»Immer noch der alte Zauberer«, schmunzelte Cleve. Cullic, König Sitrics Leibwächter, trat vor und stellte sich neben Brodan. Der Spanier hatte die härtesten Augen, die Cleve je gesehen hatte. Seine Haut war nach der Reise von Dublin noch sonnengebräunter. Cullic legte seine Hand auf Brodans Schulter: »Wir bleiben drei Tage, dann wünscht der Prinz nach St. Andrews weiterzureisen.«
»Ja«, bestätigte Brodan. »Ich will im alten Kloster Iona und der neuen Abtei von St. Andrews beten und Gott dienen.« Dann schien er einen kleinen inneren Kampf auszufechten, bevor er herausplatzte: »Der Heilige Columba hat das Ungeheuer von Loch Ness gesehen. Es kann kein böses Monster sein, nicht wenn es sich diesem heiligen Mann gezeigt hat. Hast du es auch schon gesehen, Chessa?«
»Ja, aber nur einmal. Es hat einen langen, schuppigen Hals und einen ziemlich kleinen Kopf. Es tauchte schnell wieder unter. Kiri hat das Ungeheuer viele Male gesehen. Sie meint, es ist kein Ungeheuer, sonderen eine Mutter mit Kindern.«
»Kiri?«
»Cleves Tochter. Ah, da kommt sie. Kiri, Liebling. Sieh, das ist mein Bruder Brodan aus Irland. Er möchte alles über Caldon wissen.«
Der Achtjährige blickte auf das kleine Mädchen und machte ein unendlich enttäuschtes Gesicht. »Willst du sagen, daß dieses kleine Mädchen das Ungeheuer gesehen hat?«
»Es heißt Caldon«, sagte Kiri.
Brodan seufzte. »Wie soll ich das glauben? Kleine Mädchen haben eine überschäumende Fantasie.«
»Glaub mir, Brodan. Dieses kleine Mädchen ist eine Ausnahme. Kommt ins Haus, du und deine Leute. Wir werden ein Festmahl bereiten, daß sogar Cullic zufrieden schmatzt und rülpst.«
Der Spanier nickte kühl und erteilte seinen Männern Befehle.
Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und tropfte leise einlullend auf das Dach. Aus den dichten Wäldern stieg Nebel auf und senkte sich auf das dunkle Wasser des Sees. Chessa liebte den sanften Regen, der so plötzlich aufhörte, wie er einsetzte. Danach strahlte die Sonne, und das Licht spiegelte sich
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